Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Keinmaerchen

Keinmaerchen

Titel: Keinmaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
Vom Netzwerk:
Überwurf oder eine schützende Kuppel.
    Erin, sagt sie und ich folge ihrer Stimme. Unter dem Blätterdach ist es wärmer. Sie legt mir eine Decke um die Schultern und wir setzen uns auf den Boden. Wo hast du die her?, frage ich.
    Sie zeigt auf eine große Truhe. Wir sind nicht die ersten hier. Sie reißt ein Streichholz an und entzündet eine Kerze. Die Blüten haben sich wieder geschlossen und es ist ganz still. Im Kerzenlicht sieht sie noch schöner aus. Ich berühre ihre Wange.
    Deine Hand ist kalt, sagt sie und hält sie fest, als ich sie zurückziehen will. Sie haucht über meine Handfläche und mir wird heiß. Ich kann mich nicht daran erinnern, mich schon mal so gefühlt zu haben. Ich lache auf. Ich kann mich nicht daran erinnern, überhaupt etwas gefühlt zu haben. Gestern. Außer der Angst, die war immer da.
    Sie sieht mich an, studiert mein Gesicht, berührt mit den Fingern meine Stirn, streicht über meinen Nasenrücken und fährt die Konturen meiner Lippen nach. Ich öffne ein wenig den Mund, als sie sich zu mir beugt. Ihr Atem riecht nach Brombeeren. Sie schließt die Augen, aber ich will meine nicht schließen, ich will sie ansehen und keinen einzigen Augenblick verpassen. Hörst du das?, fragt sie, noch immer mit geschlossenen Augen.
    Ich höre mein Herz schlagen, schnell und schwer. Es klingt als liefe er über eine Trommel. Hundertmal er. Und seine Schritte werden immer lauter. Aber das ist nicht mein Herz. Ich krieche zum Ausgang und starre in das kalte Dunkelblau, kneife meine Augen zusammen. Da kommt etwas, sage ich.
    Ihre Hand auf meiner Schulter, ihr Körper eng an meinen gedrängt. Das ist er, sagt sie. Scheiße, das ist er.
    Nein. Aber mit scheiße hat sie recht. Das, was da durch die Dünen des Sandmeeres auf uns zu hetzt ist größer als er. Verdammt groß. Aber es bewegt sich auf seinen sechs Beinen genauso schnell wie er. Es kommt direkt auf unseren Baum zu und es sieht nicht freundlich aus. Wir müssen hier weg!
    Ich rüttele an ihrer Schulter, aber sie ist ganz steif. Ihre Lippen bewegen sich. Sie versucht etwas zu sagen, aber ich kann sie nicht verstehen. Das dumpfe Dröhnen der vielbeinigen Schritte wird lauter, kommt immer näher. Ich zerre an ihrem Arm. Komm weg hier, sage ich. Wir müssen hier weg. Bitte!
    Er ist es, flüstert sie. Ihre Stimme klingt tonlos und schwach.
    Er ist es. Er kann es nicht sein. Er ist im Weiß. Er kann uns nicht folgen. Sie ist so dünn und so schwer wie ein LKW. Er wird gleich hier sein. Aber wir sind nicht so weit gekommen, um jetzt aufzugeben. Ich gebe nicht auf. Auf keinen Fall. Ich sehe mich nach etwas um, das ich als Waffe benutzen könnte, aber da ist nichts. Nur Blüten. Er ist schon ganz nah, gleich wird er die tiefhängenden Äste zertrampeln und uns auch. Aber plötzlich ist es still. Keine Trommelschritte mehr, nur noch ihr panisches Atmen. Er steht vor dem Baum. Ich kann seine Zangen klappern hören. Er ist so groß. Und so nah, dass ich sehen kann, wie sich die Haare auf seinem Rücken im Wind bewegen. Er legt den Kopf ein wenig schräg. Es sieht aus, als lauschte er. Ich halte den Atem an und drücke ihr die Hand auf den weit aufgerissenen Mund, obwohl kein Ton herauskommt. Schweiß tropft von meiner Stirn in die Augen. Das brennt wie Hölle, aber ich wage nicht zu blinzeln, dann ist er vielleicht weg und ich weiß nicht wohin.
    Ein hohes Pfeifen sticht in meine Ohren. Es tut weh, brennt sich durch mein Trommelfell und wirbelt mir das Hirn durcheinander. Ich rolle mich auf dem Boden zusammen, presse die Hände auf die Ohren. Der Boden vibriert und dann explodiert etwas. Es riecht nach Rauch und etwas Scharfem, Beißendem. Wie im Krankenhaus, nur viel intensiver. Ich muss würgen und spucke auf den Boden. Wo ist er? Verdammt, ich habe nicht aufgepasst. Wo ist er hin?
    Er ist weg, sagt sie. Sie liegt immer noch neben mir und zeigt nach draußen. Über dem Sandmeer wabert Rauch. Und nicht weit von uns hat es einen riesigen Krater in die Dünen gerissen. Da ist etwas eingeschlagen.
    Ich krieche unter den Ästen hindurch. Es ist noch kälter geworden, meine Zähne klappern. An der Stelle, an der er gestanden hat, bleibt der Sand an meinen Sohlen kleben. Er könnte immer noch in der Nähe sein, aber ich habe keine Angst. Nicht in meinem Kopf, nicht im Bauch, nicht in den Beinen.
    Wollen wir uns das ansehen?, fragt sie und zeigt auf den riesigen Krater. Was glaubst du, könnte das gewesen sein?
    Ein Meteor, ein Raumschiff, der Furz eines uralten

Weitere Kostenlose Bücher