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Keinmaerchen

Keinmaerchen

Titel: Keinmaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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dem Tor angelangt sind, springen wir von der Treppe. Bitte, lass uns nicht bis ganz nach unten fahren!”
    “Aber wo sollen wir hin? Draußen ist nichts. Nur ein zerstörter Bahnhof und nichts.”
    “Bitte. Nicht in den Keller. Er ist böse. Bitte, Conchúbar.” Die Stimme des Jungen brach und er krallte seine Hand in Conchúbars Arm.
    “Gut. Ist ja gut, wir springen und finden etwas anderes. Irgendetwas.” Er strich Nut über den Kopf. Dann nahm er das Mädchen auf den Arm und hielt nach dem Tor Ausschau.
    Sie fuhren abwärts.
    Und abwärts.
    Es wurde kälter und langsam auch dunkler. Aber das Tor war nicht zu sehen.
    “Es ist weg.” Der Junge hatte wieder zu weinen begonnen. Seine Stimme klang heiser und schwach. “Das Tor ist verschwunden, wir müssten längst angekommen sein.” Er ballte die Hände zu Fäusten. “Das ist deine Schuld, du dämlicher … Wir fahren in den Keller!”, schrie er. “Da unten ist etwas. Es will mich. Es hat gewartet. Und jetzt bekommt es mich.” Er schlug auf Conchúbars Brust ein. Tränen und Rotz liefen ihm über das Gesicht.
    Conchúbar packte seine Hände und hielt sie fest. “Niemand wird dich bekommen”, sagte er. “Niemand, hörst du? Ich bin bei dir und ich passe auf dich auf. Das habe ich versprochen!”
    Der Junge wimmerte nur noch. Die Kälte hatte seine Beine erreicht und kroch langsam an ihnen herauf. Das Böse atmete schwer in der Dunkelheit. Wartete und lachte. Nuts Lider flatterten und er sackte zusammen.
    Conchúbar starrte in die Dunkelheit; die Hände des Jungen immer noch in seinen. Das Aggregat brummte. Und etwas regte sich in der Tiefe.
    Die Dunkelheit war vollkommen; dicht und stofflich. Das Brummen des Generators versetzte die Schwärze in Schwingungen und Conchúbar spürte sie wie Regentropfen auf der Haut. Die Treppe ruckte, vibrierte noch kurz und dann stand sie still. Sie waren unten. Ganz unten. Weit über ihnen konnte man noch einen Lichtschimmer erkennen, aber er war so weit entfernt, dass er Conchúbar vorkam wie ein Stern, den man durch einen mit Federwolken bedeckten Nachthimmel mehr erahnen als sehen kann.
    Der Junge war wieder zu sich gekommen und klammerte sich an seiner Hand fest. Seine Zähne klapperten laut und er atmete flach und schnell. Conchúbar hockte sich hin und tastete nach Nuts Gesicht. Er streichelte seine feuchte Wange. “Ich werde mich jetzt ein wenig umsehen - oder besser vortasten. Ich werde bald zurückkommen, okay?”
    “Nein, bitte, lass mich nicht alleine. Es wird mich finden.”
    “Wir können aber nicht hier sitzen bleiben. Und ich kann das Mädchen nicht durch die Dunkelheit tragen. Ich muss zuerst ein Licht finden.”
    “Dann gehe ich mit dir!” Nut sprang auf und drückte Conchúbars Hand noch fester.
    “Gut. Dann gehen wir zusammen.”
    “Aber was, wenn wir kein Licht finden und uns im Dunklen verlaufen?”
    Darüber hatte Conchúbar auch bereits nachgedacht, aber das Risiko mussten sie eingehen. Dieser Turm spielte eine Rolle, auch wenn er nicht wusste, welche das war. Und über seinen Zinnen spannte sich der Regenbogen, den er für sein Volk erjagen wollte. Trotz allem war er ein Jahim und hatte seiner Bestimmung zu folgen. “Wir werden uns nicht verlaufen”, sagte er. “Albe haben einen untrüglichen Orientierungssinn. Ich finde zurück, das verspreche ich.” Er tastete noch einmal nach dem Mädchen, legte die Hand auf ihr Bein und hoffte, dass er recht behalten würde. “Komm”, sagte er.
    Vorsichtig tasteten sie sich mit kleinen Schritten voran, die Hände ausgestreckt, und lauschten in die Dunkelheit. Außer dem Brummen war nichts zu hören, aber da war etwas. Etwas, das sie belauerte, das ihnen folgte oder vorauseilte, das sie umkreiste wie ein Rudel hungriger Wölfe. Es war nicht die Furcht. Sie war gierig und ungeduldig und hätte längst nach ihnen gegriffen. Das, was in der Schwärze lauerte, handelte bedacht, es blieb auf Abstand.
    “Es ist böse”, flüsterte Nut. “Ein böser Schatten.”
    Vielleicht hatte der Junge recht. Nur ein Schatten konnte sich so in der Düsternis bewegen. Endlich erreichten sie eine Wand. Wo eine Wand war, musste sich auch eine Tür befinden. Conchúbar ließ seine Hand über das Mauerwerk gleiten. Es war eiskalt, seine Fingerspitzen wurden bald taub, aber er tastete sich weiter an der Wand entlang. Es musste mindestens einen weiteren Raum geben. Das Brummen des Generators wurde durch irgendetwas gedämpft. Er befand sich nicht in unmittelbarer

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