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Keinmaerchen

Keinmaerchen

Titel: Keinmaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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Nähe.
    “Hier ist etwas!” Conchúbar fühlte ein glattes Material. Eckig, mit einer Erhebung in der Mitte. “Das ist ein Schalter”, sagte er. “Wie der, der die Treppe in Gang gesetzt hat. Ich bin nicht sicher, ob ich …”
    “Licht! Das ist ein Lichtschalter!” Der Junge tastete sich an Conchúbars Arm entlang, bis seine Finger ebenfalls auf dem Schalter lagen. Er zögerte kurz, dann drückte er darauf. Und es geschah gar nichts. Zuerst.
    Dann rasselte etwas über ihnen und schepperte direkt neben ihnen auf den Boden. Nut drückte sich eng an Conchúbar und der legte seinen Arm um ihn. Mit dem anderen berührte er die Gitterstäbe, zwischen denen sie gefangen waren. Der Boden begann zu vibrieren, wie zuvor die Treppe, und sie glitten sanft in die Tiefe. Noch tiefer hinab.

Nemesis
    Weiße Flocken treiben träge durch die schwere Luft, eine dicke Schicht bedeckt bereits den gesamten Boden. Asche. Die Asche meiner Brüder. Ich zertrampele ihr Andenken, trete es mit Füßen, dabei wäre es an mir gewesen, sie zurückzubringen zu den Purpurbergen, aus denen sie entstammen. Doch wie könnte ich das, selbst nur ein Schattenwesen, gebunden im Zwischenreich, verdammt und vergessen.
    Das ist nicht das Schattenreich, immer wieder sage ich mir die Worte, das ist nur eine Illusion, ein Abbild der Schatten, der Züge, der Toten und Sterbenden, derer, die noch dort gefangen sind, leiden, deren Geist sich verflüchtigt wie bald schon ihre Asche. Es sind die Rhithiau, die die Bilder beschwören, die Schreie, die Eisengefährte, den Teergestank, die widerliche Luft, die meine Lungen schmerzen macht. Die Furcht. Ist sie auch nur Lug? Ich spüre ihre Anwesenheit. Kann das ein Trug sein? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass die Bedrohung, die sie aus allen Poren atmet, wirklich ist, auch wenn die Rhithiau es waren, die sie vorgegaukelt, beschworen und ihr Gestalt verliehen haben. Nichts von alledem, was meine Augen zu blicken glauben, ist wahr und doch ist es das.
    Ich muss mich an etwas binden, wenn ich nicht einer von denen sein will, die die dampfenden Ungetüme unter ihren Eisenrädern zermahlen wie trockenes Laub, denn ich spüre bereits, wie mein Gemüt mich unwiderstehlich hinzieht zu den Schienen. Oder ist das die falsche Entscheidung? Wenn ich mich binde, und sei es in diesem Luggebilde aus falschen Gerüchen und Bildern, kann ich mich aus eigener Kraft wieder lösen, wenn es an der Zeit ist? Oder verdamme ich mich selbst zu dem Schattendasein, das ich vormals führte? Viel zu lange. Zu schmerzlich sind die Erinnerungen an die Dekaden, die ich wartete und wartete und nichts mir blieb, als meinen Zorn zu schüren, ihn zu nähren und zu bewahren, auf dass ich mich nicht auflöse und selbst zu dem werde, an das ich mich band.
    Noch nicht. Noch ist Zeit, noch bin ich stark genug, der Versuchung des schnellen Todes zu widerstehen, noch ist mein Zorn stärker, noch sind meine Krallen scharf, meine Zähne spitz und tödlich. Furcht, fürchte dich, fürchte dich vor meinem Griff, der dich zermalmen und in die Teergruben werfen wird, aus denen du einst ausgespuckt wurdest.
    Ich folge meiner Nase, ein leichtes Unterfangen, zu durchdringend und eklig ist der Gestank, der an allem und jedem haftet wie ranziges Fett.
    Je weiter ich mich von den Schienen wegbewege, desto stärker wird der Gestank, doch die Schreie werden leiser, sind nunmehr ein Flüstern wie von Herbststürmen, die sich an Eisenstangen reiben. Hinter dem Karubenbaumfeld liegt die Teergrube. Ich erinnere mich. Und schon höre ich die Maschinen. Wie die Räder ächzen unter der Last des dampfenden Erdpechs. Wie viele Jahre schon mögen sie ihren Dienst tun? Sie müssen älter sein als die Welten, älter als das Schattenreich, das mit dem klebrigen Teer zusammengehalten wird, dessen Grenzen damit verdichtet werden. Aber wer mag die Maschinen gebaut haben? Wer ist der Herr des Schattenreichs? Niemals habe ich andere Lebewesen in seinen Grenzen gesehen als Albe und niederes Getier. Ist es die Furcht selbst, die über die Schattenländer gebietet, seit sie aus dem Teer gekrochen kam?
    Die Zeit hat an den Maschinen genagt, Rost hat sich in die Streben gefressen, Pech verklebt die Zahnräder und lässt sie stöhnen und ächzen unter der Last. Nur noch zwei von ihnen arbeiten, die anderen beiden stehen bereits still, sind mitten in der Bewegung erstarrt. Die verbliebenen tun ihren Dienst, schöpfen den heißen Teer aus der Grube, laden ihn auf die Förderbänder,

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