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Keinmaerchen

Keinmaerchen

Titel: Keinmaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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Fenster.
    Der einzige Ausgang, den er finden konnte, war ein großes Rohr. Es sah aus wie ein Teil eines dieser riesigen Belüftungssysteme, wie sie in Fabriken verwendet werden. Er musste auf die Knie gehen, um hineinzusehen. Er kroch ein Stück hinein. Es roch muffig und das Metall war klebrig, aber irgendwo in der Ferne schimmerte Licht. Als er an eine Gabelung gelangte, wandte er sich nach links, wie es der Patient beschrieben hatte. Der Lichtschein wurde heller und kurz darauf gelangte er an einer Klappe an, die sich im Boden des Rohres befand. Er versuchte, den Riegel zu öffnen, aber der schien festgerostet zu sein. Mit aller Kraft zog er daran, der Riegel gab nach und er stürzte durch die Öffnung.
    Und landete auf einem großen Bett.
    Ein Mann saß hinter einem riesigen, mit Büchern und Papieren beladenen Schreibtisch und sagte: “Hoppla!” Er musterte den Jungen durch eine … nein, durch zwei Brillen, die er übereinander gezogen hatte. Seine Augen wirkten seltsam vergrößert und es schien, als blickten sie in unterschiedliche Richtungen.
    “Entschuldigen Sie!” Der Junge befreite sich von der Bettdecke und kroch aus dem Bett. “Herr Blum? Sie sind Herr Blum?”
    “Soweit ich weiß. Ja, der bin ich. Wie es scheint, bin ich eine rechte Enttäuschung für Sie. Was hatten Sie erwartet? Einen Fernsehstar?” Er kicherte und gab beim Einatmen seltsame Grunzlaute von sich.
    “Nein, verzeihen Sie, ich hatte nur gedacht, der Patient … Entschuldigen Sie!”
    “Ach, das. Sie hatten mit einem seiner Hirngespinste gerechnet. Das fehlte mir noch. Nein, nein, Herr Blum existiert nur in Reinform und ist einmalig.” Er nahm eine der Brillen ab und verstaute sie sorgfältig in einem Etui. Seine Augen nahmen eine fast normale Größe an, blickten aber immer noch in verschiedene Richtungen. Eins davon sah den Jungen an. “Sind wir uns schon einmal begegnet?”, fragte er. “Sie kommen mir bekannt vor. Aber setzen Sie sich doch bitte.” Er deutete auf einen Stuhl, an dem ein Bein fehlte.
    Der Junge ließ sich vorsichtig auf der Stuhlkante nieder und sah sich die Aufzeichnungen auf dem Schreibtisch an. Allesamt handschriftliche Notizen, soweit er erkennen konnte, und Tuschezeichnungen von Alben. Er deutete auf die Zeichnung eines besonders großen Albs. “Haben Sie sie gesehen? Die großen?”
    “Oh, nein, wo denken Sie hin? Ich bin Ethnologe, nicht Indiana Jones!” Herr Blum setzte die zweite Brille wieder auf und nahm das Bild zur Hand. “Das ist ein prachtvolles Exemplar, nicht wahr? Ist Ihnen bekannt, dass die sozialen Strukturen ihrer Nestgemeinschaften unseren gar nicht so unähnlich sind? Sie leben in Familienverbänden, die eine überaus starke Gemeinschaft bilden und nie - niemals! - durchbrochen werden.” Er kramte in seinen Aufzeichnungen und zog eine Buntstiftskizze hervor, auf der ein Gebirgsmassiv abgebildet war. Eine zweifarbige Sonne tauchte die Umgebung in purpurfarbenes Licht. Am Fuß des Berges wogte ein Sandmeer und darüber schwebte eine Plattform, auf der einige Albe die Räder drehten.
    Der Junge sprang auf und riss Herrn Blum das Bild aus der Hand. “Das kenne ich! Das ist der Rand des Sandmeers und das sind die großen, die besonderen Albe!” Er fuhr mit dem Finger die Konturen ihrer Körper nach. “Sie sind so wunderschön.”
    “Sie waren dort? Haben Sie mit ihnen gesprochen? Haben Sie die Nester gesehen? Wie groß ist die Nestgemeinschaft? Wer ist ihr Anführer?” Herr Blum riss sich die obere Brille von der Nase und legte sie auf den Tisch. “So erzählen Sie doch! Bitte! Wie viele Albe leben noch in den Purpurbergen?” Dann schlug er sich mit der flachen Hand vor die Stirn. “Meine Güte, ich bin der unhöflichste Gastgeber, den man sich nur vorstellen kann. Möchten Sie Tee? Eine Zigarre? Etwas Mescalin?” Er klappte Kästchen auf und zu und hielt dem Jungen das Angebotene abwechselnd vor die Nase.
    “Danke, nein.” Der Junge wehrte zum fünften Mal die Zigarren ab und reichte Herrn Blum die Zeichnung zurück. “Ich habe nicht viel von den Alben gesehen, ich war nur … auf der Durchreise.”
    “Oh, wie schade.” Herr Blum ließ sich in seinen Sessel zurückfallen und verstaute seine Kästchen in den Schreibtischschubladen. “Jammerschade!”
    “Sie haben die Albe also noch nie gesehen? Aber wie können Sie sie dann studieren?”
    “Was für eine Frage!” Herr Blum zog die buschigen Augenbrauen hoch und verzog beleidigt die Mundwinkel. “Ich beobachte

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