Keinmaerchen
eingeschlossen in diesem undurchdringlichen Gespinst.
Es krabbelt und kribbelt auf meiner Haut, sowie ich sie wegwische, kommen hundert neue nach, springen aus den Bäumen, kriechen an meinen Beinen hinauf, bedecken meine Augen mit ihren Körpern, nehmen mir die spärliche Sicht, schlagen ihre Stachel in meine Lider, bis sie zugequollen sind und ich blind nach meinem Weg tasten muss. Das Gift bemächtigt sich meines Körpers, jede Bewegung fällt mir schwer, jeder Schritt eine Herausforderung an meinen Willen. Denk nach, Alb! Denke, solange noch ein Funken Leben in dir steckt. Nutze deine anderen Sinne, gib dich nicht der Schwermut hin, die Hand in Hand mit dem Gift durch deine Blutbahnen rauscht.
Aus drei Richtungen bedrängen sie mich, also müssen die Netze in der vierten am dichtesten sein, dorthin wollen sie mich treiben. Ich muss also zurück, muss direkt durch die Welle der Aranha, die auf mich nieder prasselt und unendlich zu sein scheint.
Gänzlich bin ich nun von ihren Körpern bedeckt, sie stecken in meinen Ohren, kriechen in meinen Mund, ich kann kaum noch atmen, immer und immer wieder injizieren sie mir ihr lähmendes Gift. Doch ich werde nicht aufgeben, niemals. Verfluchte Trägheit! Meine Gedanken sind bleiern, kriechen wie Schnecken durch meinen Kopf und gelangen nicht ans Ziel. Besinne dich, Alb. Besinne dich!
Ich rieche gute, klare Luftschichten, sie befinden sich nur wenige Flügelschläge weit entfernt, ich muss dem Waldrand nah sein. Die Aranha haben mich meinem Ziel näher gebracht, auch wenn das nicht ihre Absicht war. Noch immer gieren sie nach meinem Blut. Selbst meine Flügel sind träge, doch sie gehorchen meinem Willen, breiten sich aus, erspüren den Aufwind, schlagen und tragen mich. Luft! Sauerstoff, nur wenig schwerer als die Lüfte meiner Heimat. Ich bin fast am Ziel, ich spüre die Schwäche des Schattenreichs, spüre die Lücken, die in seiner Grenze klaffen. Ich schüttele die letzten Anranha ab und sie ziehen sich zurück in den Wald, wo sie darben und warten werden, bis das nächste Lebewesen sich in ihren Netzen verfängt. Ich bin frei. Frei!
Doch ich bin blind. Meine Lider fühlen sich an wie aufgedunsene Schwären, kurz bevor sie platzen und Blut und Eiter über ihren Träger versprühen. Blind kann ich nicht fliegen, blind kann ich das Seelenbecken nicht finden, blind bin ich ein leichtes Opfer für die Gefahren, die noch auf meinem Weg lauern mögen. Und es werden Gefahren lauern, so sicher, wie die zweifarbige Sonne am äußeren Rand des Himmels hängt.
Ich muss landen, die Aranha werden es nicht wagen, mich auf offenem Feld zu bedrängen. Sie sind Schattenfüßler, leben und jagen im Schutz der Wälder, doch wer weiß, wozu die Gier, wozu der Hunger sie treiben mag. Das spielt keine Rolle, weiter kann ich nicht, zu viel Gift hat sich in meinem Körper verbreitet und ihn schwach und träge werden lassen.
Also öffne ich meine Lider mit zwei gezielten Schnitten meiner Krallen und hoffe, dass das Gift mir nicht das Augenlicht genommen hat. Nun muss ich schlafen. Schlafen und hoffen, schlafen und heilen, schlafen …
#
Ich kann sehen! Verschwommen noch, doch meine Augen tun ihren Dienst. Szandor sei Dank!
Wie lange mag ich geschlafen haben? Noch immer befinde ich mich innerhalb der Grenzen des Schattenreichs, doch es ist wie ich gehofft hatte, die Grenze ist brüchig, löchrig, hält nicht mehr zusammen. Der Teergestank ist nur noch eine Ahnung, die in den Lüften schwingt wie ein längst vergangener Ton. Ich bin nicht weit vom richtigen Weg abgewichen, dort hinter den Buchenstämmen kann ich es sehen. Und ich sehe bereits die Grenze. Das letzte Stück werde ich fliegen, die Furcht wird mich nicht aufhalten und auch sonst kein Lebewesen dieses oder irgendeines anderen Reiches, denn ich bin Nemesis, der reine Zorn.
Meine Flügel tragen mich bis zur Grenze. Es ist genau wie ich ahnte. Die Schatten fließen über die Grenze, hinaus in die anderen Welten. Was mögen sie dort bereits angerichtet haben? Ich muss weiter. Weiter. Über die Kreideberge, die schimmern und blenden; von ihnen geht kein Arg aus, sie sind lind und licht, nichts Böses wagt sich, ihre Höhen zu erklimmen. Es fühlt sich so gut an, endlich wieder Wind unter den Schwingen spüren, zu spüren, wie die Muskeln meiner Flügel ihren Dienst tun. Mit meiner Kraft kehrt auch mein Zorn zurück, er ist heiß und brennt wie das Wasser der Geysire, deren Fontänen fast bis zu meinen Füßen reichen. Meine
Weitere Kostenlose Bücher