Keks & Drugs & Rock 'n' Roll
da hat man sich verspekuliert. Die Gegend hat so einen schlechten Ruf, dass niemand eine Parzelle erwerben wollte. So konnten wir ganz billig Grundstücke kaufen...“ Er schaut raus auf den Ozean. „Eine wunderschöne Gegend! Und wir haben es solange gut hier im Wald, solange uns die Touristen nicht überfluten. Mir könnten sie zwar nichts anhaben, denn ich züchte kein Kraut, aber andere aus unserer Gemeinschaft... Ja wir haben einen prima Zusammenhalt. Für die Kinder haben wir eine Schule gebaut, damit sie nicht nach auswärts müssen. Die Nachbarn bringen ihre Kinder abwechselnd gemeinsam hin. Sogar die meisten Lehrer werden von uns selbst bezahlt. Auch ich spende regelmäßig einen Beitrag, obwohl ich kein Kind habe. Ich wohne erst seit fünf Jahren hier. Damals haben wir zu dritt die vierundvierzig Morgen Land gekauft, auf dem mein Haus steht. Die anderen beiden haben ihren Anteil jenseits vom Berghang, mir gehört das Stück bis zur Hügelkuppe. Das Land war so billig, dass ich meinen Teil aus meiner Abfindung als Vietnam Veteran berappen konnte. Der Staat zahlt mir außerdem fünfhundertvierzig Dollar im Monat als Unterstützung.“
Die Überraschung des Abends wird serviert: Käsetorte mit Kiwikrem. Wir haben schon alle bekannten und unbekannten Meeresfrüchte intus und kaum noch Platz, aber diese Leckerei ist Spitze! Still versunken, voller Hingabe, genießen wir den Kuchen Löffel für Löffel. Mit meinen Sinnesorganen folge ich dem Weg der Speise vom Mund, durch den Gaumen bis zu meinem Magen und koste auch noch den Nachgeschmack aus.
Auch Boolah strahlt vor wollüstiger Zufriedenheit, und wenn man jetzt seine Strahlintensität messen würde, müsste man ihn wegen Strahlungsüberdosis in Blei einbuchten lassen. Aber Mary, die Wirtin, empfängt seine ‘Sendung’ mit fröhlichem Lächeln, bleibt neben uns stehen und ist richtig glücklich, dass ihre eigene Spezialität uns so mundet.
Dieser Wohlgeschmack begleitet mich bis nach Hause. Mein Erinnerungsvermögen hat ihn gut bewahrt und reproduziert ihn beim Anblick der fressenden Hunde und der Katze.
Die Stimmung ist so vertraut familiär, dass ich denke, es ist nicht aufdringlich, Boolah jetzt nach Vietnam zu fragen.
„Ich kann mir vorstellen, was das für euch Veteranen bedeutet, dort gekämpft zu haben... Ich meine, der Film ‘ Apokalypse Now’ zeigt alles ziemlich authentisch, soweit ich Bescheid weiß. Nicht wahr?“
„Bullenscheiße!“ bricht es aus Boolah heraus. „Als sie angefangen haben diesen Film zu spielen, waren wir Veteranen sehr sauer, wir haben Demos dagegen organisiert, denn dieser Film gibt keineswegs Auskunft über Vietnam, sondern zeigt Helden und Verrückte. Der Film führt die Leute irre. Dort, in der Wirklichkeit, war unser Erlebnis total anders: Die ausgeblasenen Gehirne und die zermatschten Glieder zu sehen, und zwa nzigjährige Kids, die sich die Hose voll scheißen und kotzen vor Angst und irre werden und sich selbst erschießen... Wir haben es erst dort draußen begriffen, dass wir in einem fremden Land überhaupt nichts zu suchen haben. Als wir wieder zu Hause waren, haben wir angefangen, den Protest zu organisieren und haben eine starke Bewegung aufgebaut. Die ganze amerikanische Jugend hat gegen den Krieg rebelliert, nur das hat den Abzug aus Vietnam bewirkt. Dann hat uns das FBI mit Provokateuren unterwandert, und so haben wir heute keine starke Organisation mehr. Jeder Veteran wird observiert, und wer unbequem ist, wird ausgeschaltet. Mich können sie auch jeder Zeit ausblasen, wenn ich mich zu mausig mache. Ja, die Zahl der Opfer des Vietnamkrieges ist viel höher, als sie es offiziell zugeben. Nach unseren Recherchen, übersteigt die Zahl derjenigen, die nach dem Krieg durch Selbstmord oder so genannte „zufällige“ Autounfälle gestorben sind, um 1000 die Zahl der Opfer in Vietnam. Wenn hier zu Hause ein Veteran gestorben ist, hat niemand gefragt; warum!? Das Gerücht sagt; viele begehen Selbstmord, weil sie mit ihren Erinnerungen nicht leben können. Das stimmt auch. Aber viele haben sich nicht eigenhändig umgebracht: Das kümmert keinen.“ Er starrt vor sich hin, aufgewühlt von seinen Gedanken. „Was wir da durchlebt hatten, ist nicht einfach zu verarbeiten. Mich hat es auch viel gekostet, aber jetzt kann ich schon damit umgehen. Es ist schrecklich, wenn du mit zwanzig mit dem Heldenglauben in den Krieg ziehst, für deine Heimat zu kämpfen, und dort draußen begreifst, dass sie aus dir einen
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