Keks & Drugs & Rock 'n' Roll
ab, den er Bruder Michael nennt. Bruder Michael ist ein Weißer, nennt seinen Vorredner Bruder Jones und hält eine HERRliche Rede über die Moral. Die Musiker spielen mal hier mal da eine Untermalung oder Bestätigung zum Text. Ich setze mich unauffällig in die leere letzte Reihe. Die Zusammengekommenen nicken zustimmend. „Weil der HERR großartig ist. Jesus ist nicht umsonst gestorben. Oh, nein!“
„Oh yeah“ donnert der Mann mit der Wulstlippe sein Metallvibrato. „Jesus ist wunderbar.“
Bruder Michael beendet seine Predigt. Die Gemeinde ist von der Versuchung befreit und es kann der Himmel losgehen.
Schwester Martha übernimmt das Mikrofon, die Musiker setzen ihre Glückseligkeit, nach dem Motto: Jetzt und immer, frei. Die Schwestern und Brüder stehen auf und klatschen den Rhythmus.
„Jesus, Du bist unser Herr. Wir loben dich für deine Güte“ singt Martha mit extrem hoher Stimme.
„Oh Jesus, oh Jesus“ singen und tanzen die Seelenbefreiten.
Eine korpulente Schwester schüttelt, außer sich geraten, ihre Masse, ihre ebenholzfarbenen Hände flattern wie Vögel in der Luft und ihre Beine steppen mit einer Wahnsinnsgeschwindigkeit auf dem Boden. Sie ist voll in Ekstase, aber als sie sich hinwirft, stehen schon drei Geschwister um sie herum und fangen sie auf. Dann kommen noch zwei, um die steife Frau auf den Tisch zu legen. Und alle sind glücklich: „Jesus hat unsere Schwester Anna berührt.“ Eine vollbusige Frau kommt zu mir, nimmt mich an der Hand und führt mich nach vorne in die tanzenden Reihen. Wir tanzen zusammen einen wilden Tanz. Ich rüttele an ihrer rechten, ihr Mann an der linken Seite. Beide lächeln mir freundlich entgegen.
Schwester Jesse löst Schwester Martha ab. Dann ist der mit der Wulstlippe an der Reihe, um Jesus mit seiner Trompetenstimme hochzuloben. Was für ein Gospel, was für ein Blues! Meine Beine und mein zuckender Körper sagen sich von meinem Willen los. Das Schlagzeug poltert in mir, das Keyboard schnattert heiser, die Gitarre kurbelt verrückte Läufe. Eine Stunde Illusion, eine Stunde Seligkeit, dann sechs Tage Alltag. Trockene Wirklichkeit. Je härter der Alltag, umso wilder der Tanz. Du kannst die angestaute Bitterkeit von Jahren in e iner Minute herausschwitzen.
Am Ende der Messe wische ich die Schweißperlen von meiner Stirn und sage Bye-bye zu meinen Schwe stern und Brüdern.
Draußen auf der Straße jazze ich mit Tanzschritten an den bunt besprühten Rollos geschlossener Läden vorbei. Kaum etwas bewegt sich hier. Bei der Lexington Avenue überquere ich einen Platz und gelange auf ein leeres Grundstück. Dann schleiche ich mich zwischen verfallenen Häusern weiter. Kein Bürgersteig, kein Asphalt, nur eine aufgewühlte und vernachlässigte Kraterlandschaft. Um die Krater krakeln sich ausgelatschte Fußpfade. In den untersten Etagen der ausgebrannten Häuser leben Menschen. Das ahne ich nur wegen der trocknenden Wäsche auf den Leinen. Neben dem Loch einer zugemauerten Eingangstür steht ein Mann mit mürrischer Miene und brummt mich unfreundlich an: „Hier findest du keinen. Hier suche keinen! Besser, wenn du weißt, hier wohnt keiner.“
„Aber ich suche keinen. Ich spaziere nur“ antworte ich freundlich.
„Hier soll keiner spazieren. Wir haben genug von euch Fixern.“
Na toll, wenn ich kein Spitzel bin, bin ich ein Fixer. Herrliche Aussichten. Aber ich habe keine Lust, seine Illusionen zu zerstören, und stolpere lieber aus der Mondlandschaft heraus.
Hab wieder Beton und Asphalt unter den Füßen. Auf der Zweiten Avenue läuft schon das sonntagnachmittägliche Treiben. Hier und da auf dem Bürgersteig sitzen kleinere Grüppchen auf Stühlen und unterhalten sich amüsierend. Vor dem Eckladen quatscht mich Keiner an und das finde ich merkwürdig. Ich muss ziemlich ratlos aussehen, denn eine blonde Frau begrüßt mich, als würde sie „Guten Morgen“ sagen. Obwohl, es ist nur die hier übliche Begrüßung. Dann aber grüßen mich die vor der Baptistenkirche sitzenden Frauen lächelnd zurück.
Einige Straßen weiter sitzt ein abgebranntes Paar vor einer rostbraunen Tür auf der Treppe, der Mann ruft irgendwas Unfreundliches zu mir, was ich nicht verstehe, deswegen drehe ich mich zurück zu ihm und entschuldige mich freundlich, ich hatte es nicht verstanden. Sein dunkelbraunes Gesicht ist ganz ausdruckslos vor Überraschung.
„Was machste denn hier, Bursche?“
„Hm, trampen, vagabundieren, Amerika kennen lernen.“
„Und wie viel Geld
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