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Keks & Drugs & Rock 'n' Roll

Keks & Drugs & Rock 'n' Roll

Titel: Keks & Drugs & Rock 'n' Roll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Virág
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nicht sehen. Aber außer der Frau kann sie keiner sehen, denn dieses Wesen ist keine Gestalt aus Fleisch und Blut. Hauptsache, die Frau sieht sie und weiß, dass sie ihr auf der anderen Seite der Straße zuhört und gelegentlich sogar antwortet, was wiederum nur diese Frau verstehen kann. Also, sie läuft lauthals klagend die Straße rauf und runter und übertönt die vorbeifahrenden Autos.
    Plötzlich taucht ein Mann an ihrer Seite auf und beginnt sich auch mit dem Unsichtbaren auf der gegenüberliegenden Seite dröhnend anzulegen. Daraufhin hört die Frau auf und überlässt das Streitfeld dem Mann. Sie läuft in meine Richtung und spricht weiter leise vor sich hin. Aus ihren Reden habe ich kein Wort verstanden, aber die Geste n und die Gefühle, die sie ausstrahlen, lässt mich ahnen: sie sind gerade dabei, denjenigen, der sie in diesen von eisernen Untieren wimmelnden, mit Asphalt und buntem Krimskrams geleckten Betondschungel gebracht hatte, zu Rechenschaft zu ziehen.
    Sie kommt ohne jegliche Anstalt auf mich zu, schaut auf meinen Pappbecher und erzählt dabei irgendetwas. Aber nicht zu mir, sondern für sich, als würde sie ihre Gedanken mit dem Unsichtbaren sortieren. Dann schaut sie mich an und erzählt weiter. Ich fülle den Pappbecher mit Milch und überreiche ihn ihr. Es hat alles seine Selbstverständlichkeit; wie sie den entgegennimmt, wie sie die Milch austrinkt und auch wie sie weitergeht, als würden wir das jeden Tag so machen.
    Ein Obdachloser schiebt seinen großen Einkaufswagen quer über den Spielplatz. Sein schwarzer Kopf ist mit einer schwarzen Wollmütze bedeckt, der Kopfhörer und sein Anzug sind ebenfalls schwarz. Er sieht sehr gepflegt aus. In der Karre steckt all sein Hab und Gut. An einer Seite sind ein Campingbett und ein Campingstuhl angebracht, auf der anderen hängt ein großer Koffer und ein paar Wechselanzüge.
    „Tag Bruder“ ruft er zu mir. „Haste hier geschlafen?“
    „Nein, ich bin grade gekommen.“
    „Aha, O.K. Ich mag auch lieber die Heilsarmee. Schon wegen’s Frühstück.“ Er schlägt mit liebevoller Zufri edenheit auf seinen Bauch und geht weiter.
    Ich beende mein Frühstück und ziehe einem sonntäglichen Harlem Abenteuer entgegen. Ohne anzuhalten , marschiere ich bis zur Hundertfünfundzwanzigsten Straße durch. Besser gesagt; einmal bleibe ich an einem Telefon hängen.
    Und wie ich da mit dem Hörer in der Hand an die Kabine gelehnt stehe, kommt ein Kerl mit einem Haufen Kassetten in der Hand zu mir und wartet eindeutig darauf, dass ich ansprechbar werde. Ich winke ihm zu, dass ich kein Geld habe. Aber er hält die Kassetten vor und sagt, dass er sie sehr billig hergibt. Aber ich habe wirklich nur wenig Kleingeld. O.K. Ist kein Problem, es würde ihm reichen. Ah, ah, nein danke, ich will sie nicht kaufen. Dann hier haste, nimm sie als Geschenk, sagt er, ich mag diese Musik nicht. „Monkies“ und so was. Er legt die Kassetten auf das schmale Brett am Telefon und entschwebt schaukelnd um die Ecke.
    Ich streife gemütlich die Hundertfünfundzwanzigste Straße nach Osten entlang, da höre ich plötzlich Musik, von irgendwo fließt, strömt Blues auf die Straße und überzieht den sonnenhellen Vormittag mit einer einlullenden Samthülle. Er verbreitet sich so geheimnisvoll gleichmäßig über die Straße, dass es eine Weile dauert, bis ich die Quelle der Töne auf der anderen Seite hinter einer dunklen Holztür ausfindig mache. Ich drücke die Türklinke und trete unsicher in einen großen Saal. Ein Gottesdienst ist gerade in vollem Gange und der Blues ist nichts anderes als die Gesangssprache des Priesters, begleitet von Schlagzeug, Keyboard und Elektrogitarre.
    „Meine Schwestern, wenn Ihr in der Küche steht und das sonntägliche Mahl zubereitet und glücklich seid, weil eure Familie zusammen ist, das ist auch des Herren Werk.“
    „Oh yeah!“ sagt die tief vibrierende Stimme des links neben dem Prediger sitzenden Mannes mit der breiten wulstigen Lippe. Er beugt sich zu den Gläubigen nach vorn, schlägt seine Hände z usammen und vibriert: „Oh yeah, alles ist das Werk des HERRn.“
    „Und wenn du begreifst, dass die Spritze von dem Bösen kommt und sie wegwirfst, und lobest den HERRn, das ist auch des HERRn Werk“ setzt der Prediger fort.
    „Oh yeah. Das ist auch des HERRn Werk“ setzt der mit der Wulstlippe hinzu. Und die Gemeinde lobt den HERRn. Der Keyboarder befummelt die Tasten. Der Prediger gibt das Wort und das Mikrofon an einen anderen Prediger

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