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Kellerwelt

Kellerwelt

Titel: Kellerwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niels Peter Henning
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überlegte erneut einige
Zeit lang. Gerade als er nachfragen wollte, ob sie ihn verstanden hatte, nickte
sie schließlich. Dann krächzte sie: „Essen."
    Er fragte sich, ob er
richtig gehört hatte. Zur Sicherheit hakte er noch einmal nach: „Essen?"
    Die Vogelscheuche nickte
heftig. „Ja, essen. Essen. Essen."
    Sie wartete seine Erwiderung
nicht ab, sondern drehte sich auf dem Absatz um und verschwand. Er beeilte
sich, ihr zu folgen.
    „ He, warte mal", rief
er der Vogelscheuche hinterher. „Es ist ja nett von dir, mich zum Essen
einzuladen, aber ich habe momentan überhaupt keinen Hunger." Und wenn er
welchen gehabt hätte, dann wäre er ihm beim Anblick dieser Frau vergangen.
    Zu seiner Überraschung blieb
die Vogelscheuche tatsächlich stehen und wandte sich zu ihm um. Er musste
scharf abbremsen, um nicht in sie hinein zu laufen. Die Duftwolke, die ihm
dabei in die Nase stieg, ließ ihn rasch wieder einen Schritt zurück treten.
    „ Pst", machte die
Vogelscheuche und hielt sich dabei einen ausgestreckten Zeigefinger senkrecht
vor die Lippen. Dann flüsterte sie: „Essen", wandte sich um und ging
weiter. Er wusste darauf nichts zu erwidern, also folgte er ihr einfach. Dabei
schwor er sich, jegliche Lebensmittel abzulehnen, die sie ihm anbot.
    Die Vogelscheuche bewegte
sich selbst in den dunklen Passagen der Katakomben mit einer überraschenden
Behändigkeit. Mehr als einmal hatte er Mühe, mit ihr Schritt zu halten, ohne im
Schlamm auszurutschen oder an einer Abzweigung geradewegs gegen eine Wand zu laufen.
Er bog hinter der Frau um eine Ecke, dann um noch eine Ecke - und dann blieb er
stehen.
    Das Licht hatte sich
verändert. Es flackerte. Dann roch er Rauch. Irgendwo weiter vorne brannte ein
Feuer. Die Vogelscheuche blickte zu ihm zurück und winkte ihn zu sich. Er
zögerte. Mit einem Mal wurde ihm eine Tatsache bewusst, die er völlig verdrängt
hatte, seit die Vogelscheuche aufgetaucht war: Er wusste nicht, mit wem er es
zu tun hatte. Die Vogelscheuche wirkte nicht gerade wie ein Vorzeigeexemplar
der Gattung Mensch, doch vielleicht waren ihre Kumpels noch schlimmer. Deswegen
hielt er ein wenig Vorsicht für angebracht.
    Er folgte der Vogelscheuche
langsam und hielt schließlich an. Hinter der Ecke hörte er bereits das Knistern
des Feuers - und Stimmen.
    „ Ach, guck' mal, wer wieder
da ist", rief eine Männerstimme aus. Der Ausruf wurde mit Gelächter und
Beifallsbekundungen quittiert.
    „ Ja, da isse wieder", sagte eine zweite Männerstimme und meckerte dabei vor Lachen. Bei
diesem Meckern dachte er an ein Tier, doch er erinnerte sich nicht mehr an den
Namen dieses Tieres. Er wusste nur noch, dass es Hörner hatte.
    „ Da isse wieder. Hat ja auch kein Sinn gehabt, gell? Hat kein Sinn gehabt, einfach
fortzulaufen."
    „ Ich hab' ein",
kreischte die Vogelscheuche.
    Die Stimmen verstummten.
Alle schienen gleichzeitig Atem zu holen. Dann hörte er eine dritte
Männerstimme.
    „ Du hättest ja sowieso nicht
weglaufen können." Die ruhige Überlegenheit, die in diesem nasalen Tonfall
mitschwang, ließ ihn automatisch an einen Menschen denken, der seit geraumer
Zeit Drogen konsumierte und deswegen glaubte, über den Dingen zu schweben.
    „ Nee", quengelte die
Vogelscheuche. „Ich hab' ein. Da drüben isser . Ich
muss nicht selbst. Da drüben hab' ich ein."
    Das genügte ihm. Er wollte diese
Geschichte hier einfach nur hinter sich bringen und dann schnellstens aus den
Katakomben verschwinden. Die Vogelscheuche wollte ihm zum Essen einladen? Also
gut, dann würde er sich eben zum Essen einladen lassen und dabei die Freunde
der Vogelscheuche ausfragen. Was hatte er schon zu verlieren?
    Dennoch kontrollierte er den
Ladestand seiner SIG-Sauer, bevor er hinter der Ecke
hervor trat. Als er dann die Szenerie sah, die sich ihm bot, wusste er nicht,
ob er lachen oder sich übergeben sollte.
    In der Mitte des Raumes
brannte ein Feuer. Der Rauch zog durch ein Loch in der Decke ab. Auf der ihm
abgewandten Seite des Feuers kauerten drei Neandertaler. Anhand ihrer Bärte
konnte er sie sofort als Männer identifizieren. Damit endete jedoch ihre
Ähnlichkeit mit zivilisierten Wesen. Die Kleidung dieser Gestalten bestand aus
Lumpen und Fetzen - ebenso wie die Kleidung der Vogelscheuche. Aus diesen
Fetzen ragten Gliedmaßen, vollkommen verdreckt und abgemagert bis auf die
Knochen.
    Die Vogelscheuche stand auf
der ihm zugewandten Seite des Feuers, als müsse sie sich vor einem Standgericht
verantworten. Als sie über die

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