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Kellerwelt

Kellerwelt

Titel: Kellerwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niels Peter Henning
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überhaupt nichts. Der Kerl hatte den Weg zum Ausgang
garantiert auch nicht gekannt. Nur irgendein Trottel, der in eine billige Falle
getappt war.
    Er schüttelte heftig seinen
Kopf, um diese Gedanken loszuwerden. Sie passten nicht zu ihm. Er war doch
schließlich nur irgendein Kerl von der Straße, der jeden Tag brav zur Arbeit
ging und für seine Familie sorgte.
    Die Tabletten. Es mussten
die Tabletten sein. Diese Teufelsdinger brachten seine Gedanken auf einen Trudelkurs und warfen ihn aus der Bahn. Er schwor sich, nur
noch im äußersten Notfall zu diesen Pillen zu greifen. Von diesem Zeug wurde
man nicht nur high, sondern offenbar auch noch aggressiv. Außerdem bekam man
Halluzinationen. Anders hätte er sich diese Vogelscheuche, die plötzlich in der
Tür stand, nämlich nicht erklären können.
    Eine Vogelscheuche?
    Er blinzelte und schaute
noch einmal hin.
    Das war keine Halluzination.
Dort stand tatsächlich eine Vogelscheuche und starrte ihn an.
    Sein Gehirn schaltete auf
Vollautomatik. Er reagierte. Seine rechte Hand zuckte hinter seinen Rücken, um die
P226 zu ziehen. Doch diesmal behielt er die Oberhand über seine Reflexe. Seine
Hand umklammerte bereits das Griffstück der Waffe, doch er zwang sich, die
Pistole dort zu lassen, wo sie war. Stattdessen hob er seine linke Hand und
zeigte der Vogelscheuche die offene Handfläche. Alles in Ordnung, signalisierte
er ihr. Nicht weglaufen.
    Die Vogelscheuche riss die
Augen auf und trat einen Schritt zurück, doch sie lief nicht weg. Ihre Kinnlade
hing herab und gab den Blick auf die Mundhöhle frei. Die Zähne darin hatten
sich in Ruinen verwandelt. Er wusste nicht, ob er diese Mimik als Ausdruck des
Schreckens, der Überraschung oder der Freude deuten sollte.
    Wie er erst beim dritten
Hinschauen erkannte, hatte er es mit einer Frau zu tun. Die Wolle auf dem Kopf
dieses Wesens gab keinerlei Aufschluss über das Geschlecht, doch die beiden
schlaffen Schläuche am Oberkörper, die von den Lumpen mehr schlecht als recht
bedeckt wurden, identifizierten diese Kreatur eindeutig als eine Frau.
    Und er ekelte sich vor
dieser Frau. Er wollte nichts mit ihr zu tun haben. Seine rechte Hand versuchte
noch immer, die SIG-Sauer hervorzuziehen, um die Frau
von ihrem Leiden zu erlösen, doch er behielt die Nerven. Auch wenn es ihn alle
Selbstbeherrschung kostete, er musste mit dieser Frau reden. Er musste es
einfach versuchen, auch wenn ihm dabei übel wurde.
    „ Hallo." Er versuchte
es mit einem freundlichen Ton und grinste. Dabei achtete er darauf, seine
Lippen geschlossen zu halten und seine Zähne nicht zu zeigen. Ein Tier hätte dies
als einen Akt der Aggression deuten können - und diese Tante schien eher mit
einem Tier als mit einem Menschen verwandt zu sein.
    Das Lächeln schien zu
wirken, denn die Vogelscheuche klappte ihren Unterkiefer wieder nach oben und
verzog ihre Lippen zu einer Grimasse, die er ebenfalls als ein Grinsen deutete.
Sehr zu seinem Leidwesen verzichtete sie jedoch nicht darauf, ihre Zähne zu
zeigen.
    Auch wenn ihm übel wurde, er
sprach sie an: „Bitte nicht weglaufen. Ich brauche Hilfe. Nicht weglaufen,
ja?"
    Das schien zu funktionieren.
Die Vogelscheuche entspannte sich ein wenig und grinste weiter. Also fuhr er
fort: „Es hört sich zwar verrückt an, aber ich habe mich hier drin
verlaufen." Er grinste noch etwas breiter und zuckte mit den Schultern.
„Du bist der erste Mensch, dem ich hier begegne. Könntest du mir vielleicht
sagen, wo der Ausgang ist?"
    Während er sprach,
verflüchtigte sich das Grinsen aus dem Gesicht der Vogelscheuche. Nachdem er
seine Frage gestellt hatte, überlegte die Vogelscheuche einen Moment lang. Dann
schüttelte sie langsam ihren Kopf. Seine Enttäuschung darüber hielt sich in
Grenzen, denn er hatte nichts anderes erwartet. Dieses Klappergestell von einem
Menschen hielt sich ganz sicher nicht freiwillig hier unten auf. Daraus schloss
er, dass auch sie keinen Ausweg aus diesem Gebäude kannte. Doch möglicherweise
kannte sie jemanden, der weiterhelfen konnte.
    „ Du bist doch sicherlich
nicht alleine hier unten, oder?"
    Die Frau zögerte einen
Augenblick. Dann schüttelte sie erneut ihren Kopf.
    „ Gut. Das ist gut. Also lebt
hier unten noch jemand. Vielleicht kann er mir helfen. Kannst du mich zu ihm
bringen?"  Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte die
Vogelscheuche Schwierigkeiten, seinen Ausführungen zu folgen. Deswegen sprach
er bewusst langsam und betonte jedes Wort sorgfältig.
    Sie

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