Kellerwelt
reden?"
Das Orakel trat einen
Schritt zurück und hob seine Arme abwehrend. Dabei kicherte es. „Der Chef. Ach
herrjeh, der Chef. Der allmächtige, allwissende Chef." Mit einem Satz war
das Orakel wieder dicht bei ihr und beugte sich beinahe schon vertraulich vor.
„Seien wir doch mal ehrlich: Willst du wirklich den ganzen Weg zurück laufen,
nur um dem Chef zu sagen, das böse Orakel wolle dich nicht durchlassen? Würdest
du das tatsächlich schaffen? Du siehst doch jetzt schon nicht besonders gut
aus. Kannst es gar nicht erwarten, endlich weiter zu kommen. Und was würdest du
gewinnen, wenn du mich beim Chef verpetzt? Gar nichts! Du würdest mit dem Chef
hier anrücken. Dann würde ich einige nette Worte mit dem Chef wechseln. Dafür
hättest du dann die ganze Zeit verschwendet. Es würde dich weitaus weniger Zeit
kosten, ein wenig mit mir zu plaudern."
Sie trat noch einen Schritt
zurück. Das Orakel hatte Recht: Sie würde es nicht schaffen, jetzt umzudrehen
und zur Kantine zu laufen, nur um den Chef rebellisch zu machen. Eher würde sie
sich in die Hose machen oder in den Korridor kotzen. Es war besser, einfach
abzuwarten, bis das Orakel gesagt hatte, was es zu sagen hatte - auch wenn sie
es nicht hören wollte.
Die Dinge, die das Orakel
sagte, lösten manchmal komische Gedanken bei ihr aus. Das waren Gedanken, die
sie eigentlich überhaupt nicht denken wollte. Und dann stellte sie sich selbst
Fragen, deren Antworten sie nicht kannte und die sie im Grunde überhaupt nicht
wissen wollte. Am Ende war sie dann völlig verstört. So erging es jedem, der
mit dem Orakel zu tun hatte. Deswegen hatten alle dafür plädiert, das Orakel
ganz am Rand der Siedlung unterzubringen.
Das Orakel richtete sich
wieder auf. „Da hat dir also jemand in den Arm gestochen und plötzlich glaubst
du, irgendetwas tun zu müssen."
Sie atmete innerlich auf. Es
würde nicht allzu schlimm werden. Diese Rede kannte sie bereits. Sie hatte
einmal gelauscht, als das Orakel mit dieser Frage einen Beschaffer in die
Mangel genommen hatte. Der arme Kerl war anschließend völlig fertig gewesen. Doch
bei ihr würde das Orakel auf Granit beißen, denn sie wusste, was nun auf sie
zukam. Während das Orakel redete, legte sie sich bereits ihre weitere Strategie
zurecht.
„ Man kann einem Menschen
ziemlich viel psychoaktives Zeug in die Blutbahn pumpen", dozierte das
Orakel, „doch nichts davon würde in der Weise wirken, wie du es gerade erlebst.
Man könnte einen Menschen auch nicht ohne weiteres innerhalb weniger Stunden
für eine bestimmte Aufgabe konditionieren. Wenn überhaupt, dann müsste man
dabei sehr vorsichtig und sehr subtil vorgehen. Man müsste eventuell Hypnose
einsetzen. So etwas kann Wochen und Monate dauern. Doch du bist einfach nur
eingeschlafen und einige Stunden später mit der fixen Idee aufgewacht, du
müsstest irgendetwas tun."
Nachdem sie diese Rede
damals belauscht hatte, hatte sie lange über das Gesagte nachgedacht. Dabei war
sie zu keinem Schluss gekommen. Stattdessen hatten ihre Gedankengänge nur zu
Verwirrung geführt. Also hatte sie beschlossen, diese Gedanken nicht weiter zu
verfolgen - und das funktionierte recht gut.
Sie winkte ab und schüttelte
ihren Kopf. „Vergiss es, Orakel. Du brauchst mir gar nicht mit dieser Tour zu
kommen. Der Chef sagt zwar immer, ich sei noch ziemlich jung, aber ich habe
schon voll die Ahnung, was hier abläuft. Mit deinem Geschwafel kannst du mich
nicht erschrecken. Als Nächstes fragst du mich wahrscheinlich, ob ich mir schon
mal Gedanken gemacht habe, woher der Einstich an meinem Arm kommt, weil sich ja
eigentlich niemand an mich heranschleichen hätte können. Ich habe nämlich in
einem abgeschlossenen Raum gepennt."
Das Orakel stutzte und zog
seine Augenbrauen in die Höhe. Damit hatte es offenbar nicht gerechnet. Bevor
es seine Fassung wiederfinden konnte, legte sie rasch nach: „Wenn du dann
wieder damit anfangen willst, solche Vorgänge seien ja überhaupt nicht möglich
und das alles hier sei nicht real und ich solle mir doch einmal Gedanken
darüber machen, was Realität eigentlich sei, dann sage ich dir nur Eins: Du
kannst mich mal ganz real am Arsch lecken. Ich habe mir schon längst meine
Gedanken über das alles hier gemacht. Und soll ich dir noch was sagen? Es
interessiert mich einen Scheiß! Realität ist nämlich, dass ich jetzt keine Zeit
mehr habe, mir noch mehr von deinen Blödheiten anzuhören. Die kannst du meinetwegen dem nächsten Beschaffer
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