Kellerwelt
wohin sie unterwegs sind. Aber das weiß ich nicht. Und
bevor du mich folterst, gebe ich dir den Rat, mit dem Alten Arsch zu sprechen.
Der verwaltet unsere Karten. Soweit ich mitbekommen habe, waren die beiden
Kerle in Schwarz dort, um sich Karten zu holen. Und jetzt mach es kurz und
schieß mir eine Kugel durch den Kopf."
Er sah den Burschen kurz
lang an und überlegte, wie er mit ihm verfahren sollte. Sicher, er hatte nur
einen Dissidenten vor sich, doch es handelte sich um einen besonderen
Dissidenten. Deswegen fasste er einen Entschluss.
„ Das mit der Kugel vergessen
wir." Er nahm das Sichtgerät zur Hand. „Stattdessen kannst du einen Blick
in das Sichtgerät werfen. Ich glaube, du hast das Zeug dazu, die Daten darin zu
lesen."
Der Kerl lachte und
verschluckte sich erneut. „Nein, lass mal", keuchte er dann. „Damit kann
ich nichts anfangen. Das ist nur ein Metallkästchen mit einem Stroboskop. Darin
kann man überhaupt nichts lesen. Man bekommt nur das große Zappeln, wenn man
Epileptiker ist. Schieß mir lieber in den Kopf. Das geht schon in
Ordnung."
„ Nein." Er steckte das
Sichtgerät wieder ein. „Ich brauche meine Munition noch. Du bist zwar nur ein
Dissident, aber irgendwie bist du auch etwas Besonderes. Deswegen gebe ich dir
einen Rat: Verschwinde hier, so schnell du kannst. Dieser Bereich wird bald
noch sehr viel mehr Besuch bekommen - und der ist nicht so umgänglich, wie ich
das bin ."
Der zottige Kerl schaute zu
ihm auf. Er konnte beinahe die Zahnräder im Kopf des Burschen hören, die auf Hochtouren
arbeiteten. Dann sagte der Mann: „Nicht so umgänglich wie du? Ach du Scheiße,
bloß nicht! Nichts wie weg hier!" Dann fuhr der Kerl herum und flüchtete.
Zwei Wimpernschläge später war der Mann bereits um die nächste Ecke
verschwunden. Zurück blieb nur eine Wolke seines Gestanks.
Er fletschte die Zähne zu
einem Grinsen und marschierte weiter. Als er auf die ersten Dissidenten traf,
die durch die Korridore wuselten, musste er sich sehr zurückhalten, um nicht
von seiner Waffe Gebrauch zu machen. Einerseits benötigte er die Munition,
andererseits schien die Aktion zu funktionieren, die er beim Verlassen der
Maschinenzone gestartet hatte.
Außerdem benötigte er
Informationen. Er konnte es sich nicht erlauben, auf das Sichtgerät
zurückzugreifen. Wenn er es jetzt einsetzte und zu Boden ging, dann konnte es
ziemlich hässlich für ihn werden. Also musste er die Dissidenten ausquetschen,
so lange es noch ging.
Er hielt den erstbesten
Dissidenten an, der ihm entgegen kam - einen jungen Mann, kaum im Erwachsenenalter.
„Ich suche einen alten Mann, der Karten verwaltet."
„ Meinst du den Alten Arsch?
Den findest du im Kartenarchiv." Der Junge schaute ihn völlig ohne Furcht
an und erklärte ihm, wo er den Zentralplatz fand und wie er von dort aus zum
Kartenarchiv gelangte. Vermutlich wusste dieser Milchbart nicht, mit wem er es
hier zu tun hatte.
Er beschloss, den Jungen in
Ruhe zu lassen. Besser, er bewegte sich auf erhöhtes Terrain, bevor das
Verderben über dieses Dissidentennest hereinbrach.
Das Kartenarchiv erschien ihm
ideal, um den Spaß abzuwarten. Auf dem Weg dorthin zog er einige Aufmerksamkeit
auf sich. Das asoziale Pack, das sich zwischen den Abfallhaufen herumtrieb,
tuschelte hinter vorgehaltener Hand über ihn. Viele starrten ihn und sein
Gewehr unverhohlen an. Er hörte aus einigen Mündern die Worte „neuer
Chef". Offenbar glaubte diese menschliche Ausschussware, er sei ihr neuer
Anführer. Vielleicht hielten sie ihn auch für eine Art Messias. Würden sie
seinen Drang fühlen, sie alle auf der Stelle umzubringen, dann hätten sie
sofort das Weite gesucht.
Als er schließlich das
Kartenarchiv erreichte und den Aufstieg begann, fühlte er sich, als tauche er
aus einer Klärgrube auf. Hätte er sich noch länger auf Tuchfühlung mit so
vielen Dissidenten aufhalten müssen, dann hätte er vor Ekel gekotzt.
Doch es wurde noch
schlimmer: Wie ihm ein Blick über die Schulter zeigte, hatte sich hinter ihm
eine Menge zusammengerottet, die ihm folgte. Die hielten ihn anscheinend
tatsächlich für einen Messias.
Oben angekommen, hielt er sich
nicht lange auf der Veranda auf, sondern marschierte schnurstracks in das
Archiv hinein. Dort fand er einen alten Mann in einem grauen Kittel hinter
einer improvisierten Theke. Der Alte hatte offenbar Schwierigkeiten mit seiner
Nase, die geschwollen wirkte. Ein Muster aus Blutstropfen verzierte die
Vorderseite des grauen
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