Kells Legende: Roman (German Edition)
sich …
Während hinter ihnen die ersten Schreie gellten.
»Soldaten voraus!«, schrie Saark, als sie durch eine schmale Straße mit zweistöckigen Katen und gepflegten Gärten galoppierten. Vor ihnen auf der Straße standen zehn Albino-Soldaten mit gezückten Schwertern und gesenkten Köpfen. Als Saark heftig am Zügel seines Pferdes zog, wieherte der Wallach protestierend. Kell dagegen wurde nicht langsamer, sondern trieb sein Pferd sogar noch an. Nienna, die zwischen seinen kräftigen Arm saß, keuchte laut auf, als Ilanna das hohe Lied der Gnadenlosigkeit sang und links und rechts Schädel spaltete. Zwei geköpfte, zusammenbrechende Leichen ließen sie hinter sich zurück, aus deren Hälsen schillerndes weißes Blut spritzte. Kell wendete das Pferd auf der Hinterhand, und es bäumte sich auf. Seine Hufe schmetterten gegen den Unterkiefer eines Albinos und rissen ihn ab; der Mann kreischte und packte mit den Händen dorthin, wo sein Mund gewesen war. Hinter ihm fluchte Saark, drängte seinen Wallach weiter und griff mit gezücktem Schwert an. Stahl klirrte auf Stahl, und rechts von ihm sprang Kell aus dem Sattel, während Nienna ihr eigenes Kurzschwert aus der Scheide am Sattel zog. Kell schlug eine Schneise durch die Soldaten. Sein Gesicht war grimmig, seine Augen glühten, er stank nach Whisky, und die Axt zuckte durch die Luft, als wäre sie besessen, was sie zweifellos auch war.
Nienna saß auf ihrem Pferd, vollkommen überrumpelt von den Ereignissen; eben noch gekleidet in ein schönes Seidengewand und berauscht von Wein und Schnaps, hockte sie jetzt mit dem Schwert in der Hand auf der Straße, beinahe versteinert vor Angst. Schon wieder. Sie schüttelte den Kopf, war vollkommen erschöpft und entsprechend langsam, hatte einen üblen Geschmack im Mund, und ihr schwindelte. Fast gleichgültig beobachtete sie, wie ein Soldat sich von seinen Kameraden löste, sich auf sie konzentrierte und sie mit erhobenem Schwert angriff …
Panik durchfuhr Nienna. Der Soldat war gedankenschnell bei ihr, fixierte sie mit seinen blutroten Augen, sein Schwert pfiff auf sie zu, in einem hohen, geraden Schlag; sie stieß ihr eigenes Kurzschwert vor, und die Waffen prallten zusammen, klirrten laut. Kells Kopf ruckte in ihre Richtung, während Ilanna gerade einem Krieger den Kopf von den Schultern trennte. Dann rannte er los, fiel auf ein Knie in den Schnee, rutschte ein Stück weiter, während Ilanna durch die Luft wirbelte und das Rückgrat des Soldaten zertrümmerte; ihre Schmetterlingsklingen traten in einem Sprühnebel aus weißem Blut aus seiner Brust heraus, unmittelbar vor Niennas Nase und ihren erschreckt aufgerissenen Augen.
Saark erledigte unterdessen die anderen Soldaten. Hinter ihnen, auf der Straße, kroch plötzlich Eisrauch hervor und krümmte sich wie tastende Finger über den Boden.
»Wir müssen raus aus Jajor«, keuchte Saark.
»Allerdings. Verschwinden wir von hier.«
»Wie machst du das?«
»Was meinst du?« Kell nahm die Zügel des Pferdes und lächelte Nienna grimmig an, die sich müde das Gesicht rieb.
»Du bist nicht einmal außer Atem, mein Alter.«
»Ich bewege mich halt so wenig wie möglich«, erwiderte Kell und zwang sich zu einem Lächeln. »Eines Tages bringe ich dir das bei.«
Einen Moment herrschte verlegenes Schweigen. Saark sah Kell in die Augen.
»Ich habe vorhin wirklich geglaubt, du würdest mich umbringen.«
»Nein, Jungchen. Ich mag dich. So etwas würde ich nie tun.«
Saark ließ die Lüge durchgehen; sie stiegen auf ihre Pferde und galoppierten hinaus aus Jajor. Sie ritten in die Dunkelheit, in den heftiger werdenden Schneesturm, über eine schmale, gewundene Straße, die in einen dichten Wald führte. Zehn verschiedene Pfade gingen von ihr ab, von denen sie sich einen nach Belieben aussuchen konnten. Hinter ihnen, in der mittlerweile vollkommen erstarrten Ortschaft, gingen die Schnitter mit einer kalten, furchteinflößenden Effizienz zwischen der steif gefrorenen Bevölkerung umher und fuhren ihre Bluternte ein.
Als der Tag anbrach, mündete der Pfad, dem sie folgten, in die voll gepflasterte Große Nordstraße. Schwarz und gewunden lag sie vor ihnen, glänzend unter dem Frost und den rosafarbenen Tupfern einer noch tiefstehenden, aufgehenden Sonne. Sie trieben die Pferde in einem gemäßigten Galopp voran, der Atem dampfte aus ihren Nüstern, und die vier tapferen Helden saßen erschöpft in ihren Sätteln. Sie waren nicht nur von Schlafmangel geschwächt, sondern auch
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