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Kells Legende: Roman (German Edition)

Kells Legende: Roman (German Edition)

Titel: Kells Legende: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Remic
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den Raum, den Vashell in diesem Moment betrat. Er war offensichtlich mit sich zufrieden, trug ein dezentes Schlachtgewand der Vachine, eine sogenannte Hautrüstung, unter einer wollenen Hose und einem dicken Hemd sowie einen Umhang. Seine Waffen waren ebenfalls verborgen. Seine Augen glänzten.
    »Steh auf.«
    »Nein.«
    »Steh auf!«, wiederholte er, fuhr eine Klaue aus und hielt sie vor ihr Auge. »Anukis, ich werde dich Glied um Glied auseinandernehmen, Zahn um Zahn. Ich werde dich massakrieren, aber dein Uhrwerk, dein räudiger Vachine-Status wird dich am Leben erhalten. Wir wissen, dass Kradek-ka etwas Besonderes mit dir gemacht hat, oder hältst du uns für Narren? Glaubst du tatsächlich, dass die Ingenieure dich nicht genauestens untersucht hätten? Dass sie jedes einzelne Zahnrad, jedes Rädchen, jede Welle und jede Pumpe genauestens unter die Lupe genommen hätten? Kradek-ka hat einige ganz besondere Dinge mit dir gemacht, Anukis. Er hat eine Technologie angewendet, von deren Existenz wir nicht einmal gewusst haben. Zuerst wollten wir dich töten. Das wäre angemessen gewesen, denn du bist eine Missgeburt. Aber dann hat ein Spezialist diese … hoch entwickelte Technologie in dir entdeckt. Du wirst mir helfen, Kradek-ka zu finden. Das verspreche ich dir.«
    »Ich weiß nicht, wo ich suchen soll«, sagte sie leise und starrte auf die rasiermesserscharfe Spitze von Vashells Krallen.
    »Ich weiß, wo wir anfangen können. Aber zuerst möchte ich dir etwas zeigen.«
    Vashell zog an einer dünnen goldenen Leine, die beinahe transparent und von einem merkwürdigen Netz aus Quarz überzogen war. Manchmal war es sichtbar, kräuselte sich wie flüssiger Stein, dann wiederum war es vollkommen unsichtbar, je nachdem, wie das Licht darauf fiel. Anukis spürte den Zug und begriff, dass diese Leine mit ihrer Kehle verbunden war. Eine weitere Demütigung, eine weitere Kränkung durch die Vachine.
    Vashell zog erneut an der Leine, und Anukis wurde gezwungen, sich hinzustellen. Sie knurrte und versuchte instinktiv, ihre Reißzähne auszufahren. Aber sie spürte nur Schmerzen in ihrem Kiefer. Sie weinte, als sie an der Leine dastand. Sie weinte um ihre Freiheit, aber mehr noch weinte sie um ihre tote Schwester und ihren verschwundenen Vater.
    »Folge mir.«
    Anukis blieb keine andere Wahl.
    »Wo sind wir hier?«
    »Tief im Palast der Ingenieure.«
    »Ich wusste nicht einmal, dass diese Gänge und diese Räume überhaupt existieren.«
    »Warum auch? Nicht einmal Kradek-ka hätte dir alles erzählt. Immerhin«, er lächelte, und seine dunklen Augen leuchteten vor Belustigung, »bist du eine Frau.«
    Die Gänge waren sehr lang, und je tiefer sie in den Ingenieurspalast hinabstiegen, je weiter sie kamen, desto kahler und schmuckloser wurden sie. Es gab weder Teppiche oder seidene Wandbehänge noch Werke der Ölkunst. Stattdessen bestanden die Wände aus blankem Metall, das gelegentlich angerostet war. Immer tiefer ging es hinab, und Anukis musste manchmal sogar laufen, um mit Vashells langen Schritten mitzuhalten.
    Sie gingen fast eine Stunde lang. Sie hörte knirschende Geräusche hinter etlichen Türen, tief und durchdringend. Hinter anderen hörten sie ein Krachen, als würden sich enorme Energiestöße wie Blitze entladen. Hinter wieder anderen ertönte ein rhythmisches Pochen oder das Quietschen von Metall auf Metall. Aber hinter den meisten herrschte tödliches Schweigen, und aus irgendeinem Grund war das für Anukis noch beängstigender. Ihre Vorstellung malte ihr Schrecken aus, welche die Ingenieure ersannen, die schlimmer waren als alles, was sie jetzt hätten zeigen können.
    Plötzlich blieb Vashell stehen, und Anukis wäre beinahe gegen ihn geprallt. Sie war vollkommen in Gedanken gewesen, in einen Tagtraum versunken. Sie straffte sich, und er blickte auf sie hinab. Seine Miene war überheblich, sein Blick spöttisch.
    Eines Tages, dachte sie, werde ich dich weinen sehen.
    Eines Tages werde ich sehen, wie du bettelst, dich im Schmutz windest, wie eine Made.
    Eines Tages, Vashell. Du wirst schon sehen.
    »Wir sind da«, sagte er.
    »Wo?«
    »In der Halle der Mutterschaft. Eine Schöpfung deines Vaters.«
    »Die Halle der Mutterschaft? Davon habe ich noch nie gehört.« Doch in ihrem Magen regte sich eine kalte Furcht. Vashell stieß die solide Metalltür auf, die grau und vollkommen neutral wirkte. Anukis wurde in eine riesige, höhlenartige Kammer geführt, deren Ende nicht abzusehen war. Sie war mit Nischen und

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