Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kells Legende: Roman (German Edition)

Kells Legende: Roman (German Edition)

Titel: Kells Legende: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Remic
Vom Netzwerk:
starb.
    »Nein!«, schrie Anukis, rannte zu ihrer Schwester und fiel neben dem Leichnam auf die Knie. »Dafür wirst du sterben!«, wütete sie.
    »Was du nicht sagst.« Vashell hielt sein Schwert immer noch in der Hand; es war eine besondere Klinge, speziell dafür entworfen, Vachine zu töten, also besonders für den Mord an ihrer eigenen Art geschmiedet. Die Klinge war vielschichtig und hatte eine verheerende Wirkung, wenn sie ihr Ziel traf. Sie war nicht besonders scharf, aber so konstruiert, dass sie Metall und Mechanik zerschmettern konnte.
    Anukis kniff die Augen zusammen. »Du bist ein Vachine-Jäger?«, fragte sie.
    »Ja.« Vashell lächelte. Es war ein widerliches Lächeln, halb stolz, halb … etwas anderes. Die Vachine verachteten die Vachine-Jäger; diese Position wurde von den Uhrwerkern persönlich vergeben, und die einzige Aufgabe eines Vachine-Jägers bestand darin, abtrünnige Vachine aufzuspüren und zu eliminieren, ihr eigenes Volk von allem Fehlerhaften, Falschen, Unreinen zu säubern. Die Bevölkerung fürchtete und verachtete sie. Man hielt ihre Identität geheim, damit sie im ganzen Silvatal unerkannt arbeiten konnten; sie waren nur den Uhrwerkern verantwortlich und dem Patriarchen. Den Mechanikern und Ingenieuren waren sie keine Rechenschaft schuldig.
    »Du hast mich die ganze Zeit gejagt?«
    Vashell lachte und schob sein Schwert in die Scheide. Dann drehte er sich um und fuhr sich mit den Händen durchs Haar, die noch von Shabis’ Blutöl verschmiert waren. Dann drehte er sich wieder herum und starrte auf Anukis hinunter. »Sei nicht so naiv. Was könnte ich schon von dir wollen, du hübsches kleines Spielzeug?«
    »Was willst du denn dann?«
    »Ich will etwas weit Kostbareres. Ich will deinen Vater, Anukis. Ich will Kradek-ka. Er ist verschwunden, geflüchtet. Er hat dich zurückgelassen, wehrlos, zusammen mit … der da.« Er blickte verächtlich auf Shabis’ Leichnam. »Und jetzt wirst du mich zu ihm führen. Und zwar bei allem, was heilig ist, beim Andenken unserer Vorfahren wirst du mich zu Kradek-ka bringen.«
    Anukis überwand ihre Furcht, fauchte ihn an, fuhr ihre Reißzähne aus und stürzte sich auf ihn. Vashell bewegte sich blitzschnell, schmetterte Anukis seinen Handrücken ins Gesicht und schleuderte sie quer durchs Zimmer. Sie landete an der gegenüberliegenden Wand, mit einer Wucht, dass der Putz herunterbröckelte, und stürzte mit dem Kopf voran zu Boden, wo sie zusammenbrach. Sie stöhnte, besiegt.
    »Ich überlasse es dir, den Leichnam wegzuschaffen«, sagte Vashell, marschierte über den Teppich, wobei er seine Fußabdrücke in Shabis’ Blut zurückließ, und verließ den Raum.
    Anukis starrte quälend lange in die toten Augen ihrer Schwester. Tränen rollten ihr über die Wangen, sie sank zu Boden und schloss die Augen, als sie die Ohnmacht willkommen hieß, die sie in Dunkelheit hüllte und von ihrem Schmerz befreite.
    Es begann als ein Ball, ein fester Ball, weiß, rein, so heiß wie eine Sonne. Dieser Ball war Wut, Hass, Zorn, so rein und so heiß, dass er alles zu umhüllen schien, alles einschloss, ihre Familienplanung, ihren Namen, ihre Ehre, ihre Pflicht, ihre Liebe. Dann breitete er sich aus, bedeckte die Stadt und das Tal, das Schwarzspitz-Massiv; schließlich umschloss er die Welt, die Sonne, die Sterne, die ganze Galaxie und alles, alles kochte in dieser winzigen, heißen Wut … Anukis riss die Augen auf; es war dunkel und kühl, und dafür war sie dankbar.
    Sie lag auf einer stählernen Bank. Sie trug einfache Kleidung und Stiefel. Dann blickte sie hinab, auf ihre Hände, zuckte zusammen und begann zu weinen. Man hatte ihr die Vachine-Krallen herausgerissen, und die Enden ihrer Finger waren nur noch blutige Stumpen. Sie riss die Hände hoch und schüttelte sich vor Entsetzen, als sie Löcher fühlte, wo ihre Reißzähne hätten sein sollen. In ihrem Inneren, in ihrem Kopf, in ihren Brüsten, spürte sie das Klicken des Uhrwerks und verfluchte Vashell, verfluchte die Ingenieure. Sie hatten ihr ihre Waffen genommen, und sie wäre lieber tot gewesen, als darauf zu verzichten. So etwas hatte man früher mit Vachine gemacht, die vor den Gesetzen der Justiz zu Verbrechern geworden waren, kurz bevor die Todesstrafe vollzogen wurde. Es war die unterste Form der Abweichung, die niedrigste Form der Ehrlosigkeit, noch geringer als die Verwandlung in einen Canker. Denn selbst einem Canker blieben seine Reißzähne.
    Die Wintersonne drang durch ein hohes Fenster in

Weitere Kostenlose Bücher