Kells Rache: Roman (German Edition)
Schlangen in Milch schwimmen. Gleichzeitig zerriss ein Schrei die Luft, ein so hoher, schriller Schrei, dass alle drei die Hände über die Ohren schlugen und ihre Gesichter vor Schmerz verzogen. Sie rannten in den Tunnel, während der Schrei ihnen folgte. Er schwoll an und ab, im perfekten Rhythmus mit dem Pulsieren des Kokons.
»Du Riesenidiot!«, tobte Kell. »Weshalb hast du das gemacht?«
»Ich habe es nicht absichtlich gemacht! Kann ich etwas dafür, dass ihre Haut so dünn ist wie das Seidenhöschen einer Königstochter? Ich habe das verdammte Ding kaum berührt!«
»Weiter!«, forderte Nienna sie auf. Sie war bei dem Schrei blass geworden. Jetzt ging sie rasch voraus in einen steilen Gang. Plötzlich sprang Kell vor, packte Nienna und zerrte sie und Saark in einen Seitengang. Sie standen in der Dämmerung und sahen zu, wie Albino-Soldaten an ihnen vorbeirannten. Kell zählte sie. Es waren etwa fünfzig dieser schwarz gekleideten Albino-Krieger, die in Falanor eingefallen waren.
»Hier also verstecken sie sich«, flüsterte Kell grimmig.
»Ich nehme an«, meinte Saark ruhig und liebenswürdig, »dass es hier nicht vor Eierkokons oder Albino-Soldaten gewimmelt hat, als du das letzte Mal hier hindurchgeschlendert bist?«
»Das war vor zwanzig Jahren!«, fuhr Kell ihn an. »Seitdem hat sich einiges verändert, offensichtlich.«
»Und eine Menge Whisky ist deine Kehle runtergelaufen«, erwiderte Saark kühl. Seine Augen lagen im Schatten. »Du hast uns mitten in ein Hornissennest geführt, alter Freund. Wie viele Albino-Soldaten wohl hier sind?«
»Finden wir es heraus«, schlug Kell vor.
Sie traten wieder zurück in den Tunnel und marschierten ihn weiter hinauf. Der Gang stieg steiler an, und schon bald brannten ihre Waden, und ihre Schenkel zitterten vor Erschöpfung. Etwa eine Stunde gingen sie so weiter – und begegneten noch dreimal Abteilungen von Albino-Kriegern in ihren schwarzen Rüstungen. Sie waren mit schmalen schwarzen Langschwertern bewaffnet. Etliche Male mussten sie über Vorsprünge Höhlen durchqueren, die mit diesen pulsierenden, zitternden Kokons gefüllt waren. Beim dritten Mal verlangte Saark, dass sie stehen blieben. Tief unter sich sahen sie etliche Albino-Soldaten, die durch die Höhle marschierten. Einer von ihnen hielt inne und legte eine Hand auf ein Segment eines zitternden Kokons.
»Sie verändern die Farbe«, raunte Saark.
»Wie?«, meinte Kell zerstreut.
»Die Kokons. Sie sind nicht mehr durchscheinend. Jetzt sind sie vollkommen weiß wie Schnee. Sieh selbst.«
Kell warf einen Blick über den Rand des Vorsprungs in die Tiefe und zuckte dann mit den Schultern. »Na und?«
»Und sie pulsieren langsamer«, erklärte Nienna.
»Na und?«
»Du bist wirklich ein nerviger alter Ziegenbock!«, fuhr Saark ihn an. »Der Punkt ist, dass jede dieser Höhlen offenbar für eine andere Brutphase dieser Kokons zuständig ist. Jedenfalls ist das meine Meinung. Und außerdem kümmern sich die Albinos um diese Dinger.«
»Warum sollten sie das wohl tun?«
»Vielleicht brüten sie gerne Würmer aus«, erwiderte Saark. »Oder aber sie sind gerade dabei, eine Wurmarmee auszuheben!«
»Das ist überhaupt nicht komisch!«, erwiderte Nienna entsetzt.
»Wer sagt denn, dass ich einen Witz gemacht habe?«
»Ruhe!«, befahl Kell. »Seht nur, irgendetwas geht da unten vor.«
Sie sahen hinab. Etwa hundert Soldaten marschierten in die Höhle und bauten sich in einem Kreis um fünf Kokons auf. Ein großer Albino-Krieger trat vor, zückte einen kurzen silbernen Dolch und schob ihn behutsam in den Kokon, der ihm am nächsten war. Dann schnitt er äußerst vorsichtig einen senkrechten Schlitz hinein. Das Fleisch blähte sich nach außen, und eine weiße Flut ergoss sich aus dem Kokon und lief über den Steinboden. Der Flüssigkeit folgte ein Knäuel von Schnüren, ähnlich weißen Luftwurzeln, und dann war ein Umriss in dem Durcheinander zu erkennen, zwischen den Schnüren und der zähen weißen Flüssigkeit. Er lag ausgebreitet auf dem Boden, und etliche der Soldaten traten vor und …
»Heilige Mutter!«, stieß Saark ungläubig hervor.
»Hier kommen diese Mistkerle also her«, brummte Kell.
»Was ist das?«, flüsterte Nienna, wie betäubt von dem, was sich ihrem Blick da bot.
Die Soldaten hüllten den neugeborenen Albino-Soldaten in eine Decke. Er war nahezu erwachsen, vollkommen nackt, seine Haut war weiß und makellos, er war kahl, und seine Haut schimmerte von der milchartigen
Weitere Kostenlose Bücher