Kells Rache: Roman (German Edition)
weiterer dieser Kreaturen hören und auch ihre Schatten sehen. Er schüttelte sich, während sich Furcht wie ein trockener Kloß in seiner Kehle breitmachte, sich wie eine eiserne Faust in seinem Magen ballte. Saark, der Dandy, der Mann, der das Leben, die Frauen und den Wein liebte sowie jedes Rauschmittel, welches das lustvolle Auskosten der drei vorgenannten zu steigern vermochte, dieser Mann spürte in seinem Innersten, so deutlich wie in seinen schrecklichsten Albträumen, dass er hier sterben würde. Ihm war klar, dass er von diesen gewaltigen Reißzähnen zerfetzt, in Stücke gerissen würde und dass er nichts tun konnte, um dieses Schicksal abzuwenden.
»Du machst Scherze, stimmt’s?«
Kell warf ihm einen finsteren Blick zu. »Ich mache nie Scherze, wenn es ums Töten geht«, knurrte er. »Also los! Folge meinem Beispiel! Kapiert, Jungchen?«
Saark nickte, schwitzend, während er sein Rapier fest umklammerte.
Nesh betrachtete mit wachsender Ungeduld erst den einen, dann den anderen Krieger mit seinen wütenden, roten Augen und richtete den Blick dann wieder auf Ersteren. Kell betrachtete seinerseits das wächserne, fahle Fleisch und erschauerte. Die Kreatur wies zwar noch kärgliche Reste von Menschlichkeit in ihrer perversen Verderbtheit von Haut und Knochen auf, aber damit endete auch jegliche Ähnlichkeit. Es war eine Missgeburt, nicht nur aus Mensch, sondern auch aus Albino und Vachine; eine Kreatur aus einem Un-Ort, von allen verabscheut. Merkwürdigerweise regte sich bei dieser Erkenntnis so etwas wie Mitgefühl in Kell. Er unterdrückte es gereizt. Diese Bestie würde keinerlei Erbarmen zeigen, kein Mitleid. Sie war hier, um zu morden.
»Also, Mensch … Kommst du?«, grollte Nesh. Kell sah, wie die anderen Canker unruhig scharrten, als rissen sie an einer unsichtbaren Leine; sie witterten Blut und Furcht, vermutlich sogar noch die schwachen Reste von Saarks blumigem Parfüm. Kell grinste und fletschte die Zähne, während sich sein Gesicht zu einer Maske der Feindseligkeit verzerrte.
»Bestell Graal, er soll sich meine Axt in den Hintern schieben!«
Saark stöhnte und bereitete sich auf den unvermeidlichen Angriff vor …
Der Winter hatte am Ende doch noch seinen Einzug in Falanor gehalten.
Schnee fiel in großen Mengen aus bleiernen Wolken unter einer bleichen weißlichen Sonne. Heftige Stürme bedeckten die Täler und Hügel von Falanor mit weißen Tüchern, ebenso die Wälder, Flüsse und die zerklüfteten, gewaltigen Berge. Von den steilen Flanken des Schwarzspitz-Massivs im Norden über die jüngst eroberten Städte von Jalder bis Skulkra, Vorgeth, Fawkrin und die südliche Hauptstadt Vohr ließ sich der Winter von keinem Hindernis aufhalten. Er kam dieses Jahr sehr früh, dazu mit einer Wildheit, die man, so wurde behauptet, seit zwei Jahrhunderten nicht mehr erlebt hatte.
Innerhalb von nur drei Tagen waren alle nördlichen Pässe blockiert – normalerweise eine ideale Situation für das Land, denn es bedeutete, dass viele der Briganten, Strauchdiebe und Schmuggler der Schwarzlippler, die den nördlichen Städten häufig Schwierigkeiten machten, bis zum nächsten Frühling wie Bären in ihren Berghöhlen gefangen waren.
Ebenso hieß das, General Graal und seine Eiserne Albino -Armee saßen in Falanor fest, weit weg von ihrem Heimatland im Herzen des Schwarzspitz-Massivs. Sie waren von der Zivilisation der Vachine in Silvatal abgeschnitten, dem Machtzentrum des Hochkonzils und Hohen Episkopats der Ingenieure, dem Ingenieurspalast und dem verehrten Ruheplatz des Eichentestaments.
Graal hatte die ihm ergebene und von den Vachine finanzierte Albino-Armee erfolgreich nach Süden geführt. Er hatte die größten Städte von Falanor erobert, Königin Alloria entführt, den heldenhaften Kriegskönig Leanoric getötet und dessen Armeen vernichtet, einschließlich der bis dahin unbesiegten Adlerdivisionen. Er hatte das mit List und eine r gnadenlosen Schnelligkeit erreicht. Und indem er Blutöl-Magie benutzte.
Im Kielwasser dieser erfolgreichen Invasion und nur Stunden bevor der Schnee die Pässe des Schwarzspitz-Massivs blockierte, hatten Graals Schnitter die Blutraffinerien über die Berge gebracht. Es waren riesige, viereckige Maschinen, die an Belagerungsgeräte erinnerten. Sie wurden von Gespannen aus Pferden und Cankern gezogen. In einem Anflug aus kalkuliertem Sport und tödlicher Ironie benutzte Graal dafür die wunderschönen breiten Straßen, die König Leanoric für den Transport
Weitere Kostenlose Bücher