Keltengrab: Thriller (German Edition)
zufrieden?«
Campion begann bitterlich zu weinen. »Ich habe diese schrecklichen Gestalten so oft gesehen … Und dann wuchs genau so eine in mir heran. Nur ein rachsüchtiger Gott konnte das zulassen …« Sie fasste sich, ihre Miene wurde düsterer. »Also habe ich mich von Ihm abgewendet. Und nun habe ich mich gerächt. Ich habe diesen Ort seinen rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben. Sobald das Hotel gebaut ist, wird man hier jede Nacht Unzucht treiben. Wenn das keine Gerechtigkeit ist!«
In diesem Augenblick hörten wir Henry von fern brüllen.
Gallagher näherte sich Roche.
Keuchend und schnaubend taumelte Henry durch den Torbogen. Blut lief ihm übers Gesicht, und in der Klauenhand hielt er ein gewaltiges Schnitzmesser.
Roche betrachtete ihn von der Seite, während er auf uns zuschlurfte. In diesem Moment traf mich die Erkenntnis wie der Lichtstrahl, der aus Newgrange herausgeschossen war.
»Ich habe mich in Ihnen getäuscht, Ursula«, sagte ich. »Bei den Morden an Traynor und O’Hagan ging es nicht darum, eine frühere Tat zu vertuschen. Ihr Motiv war pure Gier.«
Roche riss den Kopf zu mir herum.
»Dieses Laster hatten Sie mit Traynor gemein – Begierde der Augen, so nennt man es doch, oder? Deshalb dachten Sie gar nicht daran, ihm die Sonnenscheibe zu überlassen. Aber er wurde allmählich lästig mit seinen Versuchen, Druck auszuüben. Und dann brachte er auch noch das unangenehme Thema von Geraldines Kind zur Sprache. Wie Ihnen klar war, hatte er die Sache natürlich falsch verstanden. Nicht weil die Leiche, die er sah, zufällig die eines Säuglings war, der 1961 starb. Es spielte so oder so keine Rolle, was er ans Licht beförderte, weil Sie wussten, dass Geraldines Baby nicht in Monashee lag. Es war nie dort gewesen.«
Ich wandte mich an die Äbtissin. »Ihr Sohn ist nicht gestorben, Schwester Campion.«
»Was?« Sie blinzelte unter Tränen. »Was um alles in der Welt reden Sie da?«
»Henry ist Ihr Kind.« Ich sah zu Roche. »Ist es nicht so, Ursula?«
Roche starrte mich an. »Wie können Sie es wagen, so etwas zu behaupten?«
Ich hielt ihrem Blick stand. »Sie mussten Macht über einen Teil von ihr haben, nicht wahr? Über einen Teil der Frau, die Macht über Sie hatte, aber deren sexuelle Schwäche Sie verachteten.«
Roche wandte die Augen ab. Henry war in einigen Metern Entfernung stehen geblieben und wartete auf einen Befehl.
Campion begann zu zittern. Sie musste die Waffe mit beiden Händen gerade halten. »Sie hat mir erzählt, er sei auf der Treppe vor dem Eingang ausgesetzt worden … Die Mutter sei wahrscheinlich ein unverheiratetes Mädchen aus dem Dorf …«
»Wie lange nach Ihrer Entbindung war das? Denken Sie nach.«
»Ich weiß nicht mehr … Ein paar Wochen später, ein Monat, vielleicht.« In ihrem Gesicht zeichneten sich Verwirrung und langsames Begreifen ab.
»Und wer hat ihn nach dem König benannt, der die Ketzer von Newgrange verfolgte?«
»Das war …« Campion drehte sich langsam zu Roche um, die immer noch auf der Treppe stand.
»Henry!« Roches Stimme war wie ein Peitschenknall.
Henry hob das Messer. Ich befand mich am nächsten zu ihm.
Roche nickte. Er stürzte auf mich zu.
Campion schoss.
Henry flog mit einem Ruck zur Seite, das Messer fiel ihm aus der Hand. Dann lag er regungslos im Kies, auf seiner Kutte breitete sich ein roter Fleck aus.
Roche suchte ihr Heil in der Flucht, sie rannte die restlichen Stufen zu Campion hinunter. Die Äbtissin hatte inzwischen die Waffe sinken lassen, und über ihre Wangen strömten Tränen. Aber Gallagher war schneller. Er machte einen Hechtsprung und brachte Roche wie ein Rugbyspieler zu Fall. Man hörte ihren Kopf auf die unterste Stufe krachen.
Ich streckte die Hand aus, um Campion die Waffe abzunehmen. Ich wusste, sie würde keinen Widerstand leisten.
Gallagher fühlte Roches Puls. »Bewusstlos, aber noch am Leben.« Er stand auf und zog seine Jacke aus, um sie zuzudecken.
Campion wirbelte herum und feuerte ein zweites Mal. Roches Blut spritzte über die Stufen.
Ich blieb wie erstarrt stehen. Aber als sich die Äbtissin zu mir umdrehte, lag unendliche Trauer in ihrem Blick. » Sic Concupiscenti puniuntur «, sagte sie und gab mir die Waffe.
Die Schnitzereien am Westportal hatten das Böse nicht abzuwehren vermocht, das ins Kloster eingedrungen war. Es war die Begierde der Augen, nicht des Fleisches, gewesen, die sich der Grange Abbey bemächtigt hatte. Auch Schwester Campion war ihr unterlegen, und
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