Kennedy-Syndrom - Klausner, U: Kennedy-Syndrom
Besitzt die Frechheit, uns auf der Nase herumzutanzen. Und Kennedy schaut einfach nur zu. Rührt keinen Finger und spielt den Ahnungslosen. Aber nicht mit uns, Genosse Chruschtschow! Das lassen wir uns nicht bieten. Höchste Zeit, dass ihm jemand eine Kugel verpasst. Sonst ruiniert dieser Scheißkatholik noch das ganze Land.«
»Genug der Vorrede, Ross. Und nicht ganz so nebulös, wenn ich bitten darf.«
Ross antwortete mit einem lang gezogenen Stöhnen. »Alles, was recht ist, Kuragin –«, röchelte er, die Augen auf einen Punkt gerichtet, der nur in seiner Fantasie existierte, »bist du wirklich so schwer von Begriff, wie du tust? Wenn … wenn es einen Ort gibt, der für eine Provokation taugt, dann ja wohl Berlin!« Ross lachte hämisch in sich hinein. »Peng – und schon gehen alle aufeinander los. Keine große Kunst, hier einen Krieg anzuzetteln. Ein Möchtegern-Gigolo, der in die Venusfalle tappt, eine russische Spionin, die spurlos verschwindet, Geheimdokumente, die auf wundersame Weise in unsere Hände fallen, ein … ein kleiner Raketenangriff, und schon ist dieser Schlappschwanz von Präsident gezwungen, Farbe zu bekennen!«
»Das heißt, die CIA hat vor, Raketen auf russisches Ge …«
»Nicht wir auf die Russen, wo denkst du hin. Sondern die auf uns!«
Kuragin schüttelte ungläubig den Kopf. »Sehe ich das richtig, Ross –«, raunte er, bemüht, seine Erregung zu verbergen, »Calabrese und Konsorten haben vor, eine russische Raketenbatterie zu kapern, mit dem Ziel, das vorhandene Arsenal auf Westberlin abzufeuern?«
»Was heißt hier vorhaben«, keuchte Ross, ein boshaftes Lächeln im Gesicht. »Soweit ich weiß, ist die Aktion bereits angelaufen.«
Außer sich vor Zorn, verlor Kuragin die Geduld, packte Ross am Kragen und riss ihn zu sich empor. »Wo, Ross?«, schäumte er, so grimmig, dass der Angesprochene den Blick abwandte. »Von wo aus sollen die Rakten abgefeuert werden – und wann?«
»In knapp sechs Stunden, Herr Kollege. Sieht so aus, als müsstest du dich …«
»Von wo aus, verdammt noch mal!«
»Suchet in Rangsdorf«, spöttelte Ross, während seine Hand in die Hosentasche glitt und den Griff eines Stiletts umschloss. »Suchet, so werdet ihr finden. Tja, Kuragin, scheint so, als wärst du in einer Sackgasse gelandet.«
»Es sei denn, ich würde meine Beziehungen spielen lassen. Sie wissen doch, Ross: Einmal KGB, immer KGB. Bin mir sicher, meine Ex-Kollegen wären brennend daran interessiert, in Rangsdorf nach dem Rechten zu sehen. Tut mir leid für Sie, Ross – ehrlich.«
»Ach, ja?«
»In der Tat, Herr Kollege«, spöttelte Kuragin, ließ von seinem Erzfeind ab und entfernte sich. Kurz darauf, in knapp zehn Metern Entfernung, hielt er inne und drehte sich in aller Gemütsruhe um. »Vor allem, weil Sie sich nicht an die Spielregeln gehalten haben.«
Dann zielte er und drückte ab.
23
Gästehaus der DDR-Regierung am Großen Döllnsee / Uckermark | 22.09 h
»Operation Rose wie geplant durchführen, trotz Fahndung nach mutmaßlichem Verräter. In Ordnung. Verlass? Auf uns? Aber selbstverständlich, Nikita Sergejewitsch«, katzbuckelte SED-Chef Walter Ulbricht und legte sich derart ins Zeug, dass er im Eifer des Gefechts sogar eine Verbeugung machte. »Vermeidung von Übergriffen und Ignorieren gezielter Provokationen – verstehe. Wie bitte? Aber natürlich haben wir alle verfügbaren Kräfte in erhöhte Gefechtsbereitschaft versetzt. Defensivstrategie – wie besprochen. Wahrung alliierter Rechte, Beschränkung sämtlicher Maßnahmen auf das Territorium der Deutschen Demokratischen Republik. Verhinderung von Übergriffen, Schusswaffengebrauch nur im Notfall. Alles vermeiden, wodurch sich die Westmächte provoziert fühlen könnten. Und was passiert, wenn die Imperialisten Ernst ma… verstehe. Sie sind es, der das Sagen hat, ganz Ihrer Meinung. Operationsbeginn? In genau einer Stunde und 50 Minuten. Truppenstärke? Knapp 40.000 Mann. Keine Sorge, Nikita Sergejewitsch, wir sind bestens vorbereitet.« Das Porträt im Blick, auf dem der ordengeschmückte Staats- und Parteichef abgebildet war, platzte Ulbricht nur so vor Tatendrang. Endlich war es soweit, der Moment, auf den er seit Monaten hingearbeitet hatte, zum Greifen nah. Vorausgesetzt, es käme nichts dazwischen, würden die Maßnahmen, über die nur die Wenigsten im Bilde waren, demnächst in Gang gesetzt werden. Von ihnen, aber auch vom reibungslosen Verlauf der Operation Rose, hing eine Menge ab.
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