Kennedy-Syndrom - Klausner, U: Kennedy-Syndrom
dringend.«
»… werden. Dringend – was soll das heißen?«
Von Ulbricht unbemerkt, hatte sich der Leutnant der Staatssicherheit, schlank, bebrillt und höchstens 25, dem illustren Kreis vom Haupteingang aus genähert und dies mit einer Miene getan, die erahnen ließ, dass er keine frohe Kunde brachte. »Schlechte Nachrichten, Genosse!«, raunte er der Nummer eins der DDR ins Ohr. »Wenn ich Sie bitten dürfte, mir zu folgen!«
*
»Fehlgeschlagen? Auch das noch. Zeigen Sie mal her!« Im Begriff, die angestaute Wut an dem MfS-Beamten auszulassen, der ihm soeben einen entschlüsselten Funkspruch überreicht hatte, riss sich Ulbricht so gut es ging zusammen und ließ sich in den Ohrenbackensessel sinken, der in der weitläufigen Lobby des Gästehauses stand. Auf Komfort, Bequemlichkeit und sogar auf einen Fernsehapparat musste hier niemand verzichten, der Eindruck, man befinde sich auf einem ostelbischen Herrensitz, kam nicht von ungefähr. Vor nicht allzu langer Zeit hatte sich hier noch die Nazi-Prominenz die Klinke in die Hand gegeben, was Ulbricht, der es zu seinem bevorzugten Domizil auserkoren hatte, offenbar wenig Kopfzerbrechen bereitete.
›Liquidierung Zielperson gescheitert, Erfolg der Mission ungewiss – Stop – Geheimunterlagen verschollen – Stop – Von K, ihrem Überbringer, keine Spur – Stop – Bitte um Instruktionen – Stop – Operation Rose abbrechen? Geheimhaltung nicht mehr gewährleistet – Stop – B‹
Kalkweiß im Gesicht, pendelte Ulbrichts Blick zwischen dem Unglücksboten und dem Funkspruch hin und her. »Kommt überhaupt nicht infrage!«
»Ihre Befehle, Genosse Generalsekretär?«
»Bin ich denn hier von lauter Dilettanten umgeben?«, polterte Ulbricht, worauf der Stasi-Offizier, welcher in Habachtstellung neben ihm stand, erschrocken zusammenzuckte. »Und was heißt denn überhaupt ›abbrechen‹? Dass das nicht geht, weiß Bartosz doch so gut wie ich. Können Sie mir mal sagen, Herr Leutnant, wieso ich jedes Jahr Millionen in die Stasi hineinpumpe, wenn sie es nicht mal fertigbringt, einen popeligen Hautkommissar aus dem Verkehr zu ziehen? So schwer kann das doch nicht sein.«
»Und was ist mit diesem Überläufer?«
»Der wird früher oder später mit seinem ehemaligen Spezi Kontakt aufnehmen. Darauf können Sie sich verlassen, junger Freund.«
»Und wenn nicht?«
Ulbricht runzelte die Stirn, schnappte nach Luft und ließ den Nacken auf der Lehne seines Ohrenbackensessels ruhen. „Gute Frage.“
Auf einen Schlag hundemüde, schloss Moskaus Statthalter in der DDR die Augen und dachte angestrengt nach. Sekunden später öffnete er sie wieder, winkte seinen Gesprächspartner heran und sagte: »Schönen Gruß an Bartosz, Herr Leutnant. Von mir höchstpersönlich. Operation Rose ist wie geplant durchzuführen. Verstanden? Kein Rückzieher, egal, was noch passiert. Und vor allem: Bartosz soll alle verfügbaren Kräfte zusammenziehen, um diesen Sydow zu observieren. Rund um die Uhr. Wer weiß, vielleicht macht die Stasi zur Abwechslung mal etwas richtig und schafft es, sein Telefon anzuzapfen.«
»Schon passiert.«
»Umso besser. Früher oder später wird dieser CIA-Schnüffler bestimmt Kontakt mit ihm aufnehmen. Dessen bin ich mir absolut sicher.«
»Was dann?«
Ulbricht richtete sich auf und rieb sich die Hände. »Dann, junger Freund, werden wir unser Möglichstes tun, damit dieser Sydow für immer von der Bildfläche verschwindet. Und der Verräter, dessen Namen ich hier nicht nennen will, mit dazu.«
SECHS
»Ostdeutschland blutet aus. Das gefährdet den gesamten Ostblock. Er muss etwas dagegen tun. Vielleicht eine Mauer. Und dagegen können wir überhaupt nichts machen. Ich könnte die Alliierten zum Handeln bewegen, wenn er irgendetwas mit Westberlin anstellt, aber nicht, wenn er in Ostberlin etwas tut.«
Präsident Kennedy zu Senator William Fulbright am 4.7.1961
›Kennedys Reaktionen auf den Mauerbau waren bewusst behutsam. Er blieb, wie geplant, bis zum Montagmorgen auf seinem Familiensitz und ließ lediglich durch das Außenministerium erklären, die Abriegelung West-Berlins habe keine Auswirkungen auf die alliierten Rechte in West-Berlin und den Zugang dorthin. In dieser zurückhaltenden Reaktion kommt zum Ausdruck, dass Kennedy die Berliner Mauer als Gottesgeschenk betrachtete. Warum
Weitere Kostenlose Bücher