Kennedys Hirn
klar, seine Augen sahen direkt in ihre. »Warum glauben Sie, daß ich Ihnen diese Frage beantworten könnte?«
»Ich glaube, daß Sie der einzige sind, der sie beantworten kann.«
»Was weiß ich denn, Ihrer Meinung nach?«
»Warum er starb. Und wer ihn getötet hat.«
»Sie haben selbst gesagt, daß die Polizei der Ansicht war, es sei Selbstmord gewesen.«
»Das war es aber nicht. Jemand hat ihm diese Tabletten zwangsweise eingegeben.«
»Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, die Wahrheit zu akzeptieren, wenn das eigene Kind sich das Leben nimmt.«
»Ich weiß, daß Ihr Sohn Selbstmord begangen hat, weil er HIV-positiv war.«
Sie ahnte eine Spur von Verwunderung in Christian Hollo-ways Augen, aber er faßte sich sofort.
»Es wundert mich nicht, daß Sie davon wissen. Ihr Sohn wußte es ja anscheinend auch. In unserer Zeit läßt sich nichts geheimhalten.«
»Henrik war der Ansicht, alles ließe sich verheimlichen. Dafür war Präsident Kennedys verschwundenes Gehirn ein Beispiel.«
»Ich erinnere mich an die Geschichte. Die Warren-Kommission beschäftigte sich vergebens mit der Frage. Vermutlich gab es eine äußerst einfache Erklärung, nach der zu suchen sich aber niemand die Mühe machte.«
»Henrik sagte, das Typische für die heutige Welt sei, daß die Wahrheit unaufhörlich verborgen wird von Menschen, die ein Interesse daran haben, die Lüge zu verherrlichen. Oder sie als Instrument für grobe, aber schwer nachweisbare Spekulationen zu verwenden.«
»Das ist nicht nur für unsere Zeit kennzeichnend. Ich weiß von keiner Epoche, in der es anders gewesen wäre.«
»Aber ist es nicht unsere Aufgabe, die Lüge zu entlarven und die Ungerechtigkeit zu bekämpfen?«
Christian Holloway hob die Hände. »Ich biete der Ungerechtigkeit auf meine Weise Widerstand, indem ich gegen das Unwissen und die Angst kämpfe. Ich zeige, daß man helfen kann. Sie wollen wissen, was mich treibt. Das will ich Ihnen sagen. Es ist der Wille zu verstehen, warum ein ungebildeter Mann wie Dschingis-Khan an der Spitze seiner Kriegerhorden straff geführte Militärorganisationen und hochstehende Nationen weit entfernt von den Steppen der Mongolei besiegen und ein Imperium schaffen konnte, wie die Welt es kaum je gesehen hat. Was war ihre unbezwingbare Waffe? Ich glaube, ich habe die Antwort.«
»Was war es?«
»Ihre langen Bogen. Die Art und Weise, wie sie mit ihren Pferden verwachsen waren. Ihre Fähigkeit, den wunderbaren Augenblick zu finden, in dem der Pfeil mit hoher Treffsicherheit abgeschossen werden konnte, obwohl das Pferd mit großer Geschwindigkeit galoppierte. Wie alle wichtigen Antworten war auch diese einfach. Ich kann heute rot werden bei dem Gedanken, wie lange ich gebraucht habe, um die Losung zu finden. Es war natürlich so, daß die Reiter lernten, ihre Pfeile abzuschießen, wenn alle Hufe der Pferde sich in der Luft befanden. Da herrschte für die Dauer eines schwindelerregend kurzen Augenblicks eine perfekte Balance. Der Reiter, der in diesem Augenblick seinen Pfeil abschoß, konnte sicher sein zu treffen. Dschingis-Khan kam nicht in erster Linie mit wüsten und vor Blutdurst rasenden Horden. Er kam mit dem exakten Wissen um den Augenblick, in dem aus Chaos Ruhe entsteht. So lasse ich mich inspirieren, und so versuche ich, mein Leben zu leben.«
»Indem Sie diese Anlagen errichten?«
»Indem ich versuche, eine fehlende Balance herzustellen. Wer in diesem Land, auf diesem Kontinent mit HIV infiziert ist, wird sterben. Wenn er nicht zufällig in einer der wenigen reichen Familien geboren ist. Aber wer in der westlichen Welt von der Krankheit betroffen ist, kann damit rechnen, Unterstützung und die Medikamente zu erhalten, die er braucht, unabhängig davon, welche Eltern er hat.«
»Es existiert eine Unterwelt dort draußen in Ihrem Dorf. Es ist wie ein Sklavenschiff. An Deck promenieren die wohlhabenden Passagiere. Unter Deck, angekettet, liegen dicht gedrängt die anderen, die Sklaven.«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
»Es gibt eine Unterwelt. Dort werden Experimente mit gesunden und mit kranken Menschen durchgeführt. Ich weiß es, auch wenn ich es nicht beweisen kann.«
»Wer behauptet das?«
»Es gab einen Mann dort, der versuchte, mit mir zu reden. Am Tag danach war er fort. Ein anderer Mann versuchte ebenfalls, mir zu erzählen, was dort vor sich geht. Ihm wurde die Kehle durchgeschnitten.«
»Davon ist mir nichts bekannt.«
»Aber Sie tragen die Verantwortung für
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