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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Vändsjön gesucht, und erst als Artur benachrichtigt worden und nach Hause gekommen war, sagte er, sie sei vielleicht zum Undertjärn gegangen, wo sie im Sommer immer badete.
    Er hatte getan, was er konnte, um zu verhindern, daß das Furchtbare sich zu tief in Louise festsetzte, solange sie Kind war. Alle im Ort hatten mitgeholfen, aber niemand konnte die Trauer daran hindern einzudringen. Sie war wie dünner Rauch oder wie die Mäuse im Herbst, die überall hereinkamen, wie dicht es auch sein mochte.
    Die Trauer war wie die Mäuse, sie kam immer herein.
    Ein Jahr lang hatte Louise jede Nacht bei ihm im Bett geschlafen, das war die einzige Möglichkeit, die Dunkelheit zu bekämpfen. Sie hatten Heidis Foto aufgestellt und ihren Platz am Tisch gedeckt und gesagt, daß sie immer drei sein würden, auch wenn nur zwei am Tisch saßen. Artur hatte versucht zu kochen, wie Heidi gekocht hatte, es war ihm nie gelungen, aber so klein sie auch war, Louise schien trotzdem verstanden zu haben, was er ihr geben wollte.
    In jenen fahren wuchsen sie zusammen. Er arbeitete weiter als Holzfäller, und in der knappen Freizeit, die ihm blieb, schuf er seine Skulpturen. Es gab Leute, die meinten, er sei verrückt und nicht geeignet, sich des Mädchens anzunehmen. Aber weil sie ein artiges Kind war und sich nie prügelte oder fluchte, durfte er sie behalten.
    Jetzt stand Heidi, ihre Mutter, die Deutsche, plötzlich wieder an ihrer Seite. Und jetzt war Henrik fort, ihr Enkel, den sie nie gesehen hatte. Der eine Tod hing mit dem anderen zusammen. Konnte etwas gelindert, konnte etwas begreiflicher werden, wenn man sich in dem einen schwarzen Glas spiegelte, um etwas in dem anderen zu sehen?
    Der Tod war Dunkelheit, man suchte vergeblich nach Licht. Der Tod war Dachboden und Keller, es roch roh, nach Erde und Einsamkeit.
    »Ich weiß eigentlich nichts von ihr«, sagte Louise und fröstelte in der frühen Morgenstunde.
    »Es war wie ein Märchen«, antwortete er. »Ihr eigenartiges Schicksal, das sie mir über den Weg führte.«
    »War es nicht etwas mit Amerika? Etwas, was ich nie ganz verstanden habe? Was du nie erzählt hast?«
    Sie folgten dem Pfad. Die Gesichter in den Baumstämmen wachten über ihre Schritte. Er fing an zu erzählen und dachte an sich als Artur, nicht als ihr Vater. Jetzt war er der Erzähler, und er würde es gründlich sein. Wenn er ihre Gedanken auch nur für eine kurze Weile von der Katastrophe mit Henrik fernhalten konnte, hatte er etwas Gutes getan.
    Was wußte er eigentlich? Heidi war nach dem Krieg nach Härjedalen gekommen, 1946 oder 1947. Sie war erst siebzehn Jahre alt, aber alle hielten sie für älter. Sie hatte für die Wintersaison Arbeit bei der Bergstation Vemdalsskalet bekommen und dort geputzt und die Betten der Gäste gemacht. Er war ihr begegnet, als er Baumstämme gefahren hatte, sie hatte ein so lustiges Schwedisch mit Akzent gesprochen, und 1948 hatten sie geheiratet, obwohl sie erst achtzehn war. Es mußten viele Papiere beschafft werden, weil sie Deutsche war und niemand mehr richtig wußte, was Deutschland war, ob es das Land überhaupt noch gab oder ob es nur ein militärisch überwachtes Niemandsland von verbrannter und zerbombter Erde war. Aber sie war nie in all das Schreckliche, das während der Zeit des Nationalsozialismus geschah, verwickelt gewesen, sie war selbst ein Opfer. 1950 wurde sie schwanger, und im Herbst wurde Louise geboren. Heidi hatte nie viel über ihre Herkunft erzählt, nur daß ihre Großmutter Sara Fredrika geheißen hatte und zur Zeit des Ersten Weltkriegs nach Amerika gekommen war. Sie hatte ihre Tochter Laura bei sich gehabt, und die beiden hatten ein schweres, entbehrungsreiches Leben geführt. Anfang der dreißiger Jahre hatten sie am Stadtrand von Chicago gewohnt, und Laura begegnete einem deutschen Viehhändler, dem sie nach Europa folgte. Die beiden hatten geheiratet, obwohl Laura noch so jung war, und 1931 war die Tochter Heidi geboren worden. Beide Eltern waren während des Krieges bei nächtlichen Bombenangriffen ums Leben gekommen, Heidi war wie ein fliehendes Tier gewesen, bis der Krieg endete und sie eher zufällig auf den Gedanken kam, nach Schweden zu gehen, das vom Krieg verschont geblieben war.
    »Ein schwedisches Mädchen, das nach Amerika kommt? Dann reist die Tochter nach Deutschland, und schließlich wird der Kreis von der Enkelin wieder geschlossen? Die nach Schweden zurückkehrte?«
    »Sie selbst fand ihre Geschichte nicht

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