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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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gewählt, nicht, wie er es sonst tat, die gewundene Straße durchs Binnenland. Sie kamen durch Ljus-dal, Järvsö und Ljusnan. Bei Kolsätt erzählte er unvermittelt, daß es dort einmal eine Fähre gegeben habe. Bevor die Brücken gebaut wurden, mußte man die Wagenfähre über den Fluß nehmen, wenn man nach Härjedalen wollte.
    Die Herbstfarben brannten. Sie saß auf der Rückbank und starrte hinaus auf das Farbenspiel. Als sie ankamen, schlief sie, und er trug sie ins Haus und legte sie aufs Sofa.
    Er setzte sich neben sie auf das rote Sofa, das geflickt und ausgebessert war und immer dort gestanden hatte.
    »Ich weiß es«, sagte sie. »Ich habe es die ganze Zeit gewußt. Ich bin sicher. Jemand hat ihn getötet. Jemand hat ihn und mich getötet.«
    »Du lebst«, sagte Artur. »Wenn eins sicher ist, dann das. Du lebst. «
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Ich lebe nicht. Ich bin auch tot. Die, die du siehst, ist eine andere. Wer es ist, weiß ich noch nicht. Aber alles ist anders geworden. Und Henrik ist keines natürlichen Todes gestorben.«
    Sie stand auf und trat ans Fenster. Es war dunkel. Die Straßenlaterne draußen vor dem Gartentor leuchtete schwach und schwang sacht im Wind. Ihr Gesicht spiegelte sich in der Scheibe. So hatte sie immer ausgesehen. Dunkles, halblanges Haar, Mittelscheitel. Blaue Augen, schmaler Mund. Auch wenn alles in ihr sich verändert hatte, war ihr Gesicht noch das gleiche.
    Sie blickte direkt in ihre Augen.  In ihr war die Zeit wieder in Bewegung gekommen.
    I n der Morgendämmerung nahm Artur sie mit in den Wald, zum Duft von Moos und feuchter Baumrinde, unter einem diesigen Himmel. Es hatte den ersten Frost gegeben. Der Boden knackte unter ihren Füßen.
    In der Nacht war Louise aufgewacht und zur Toilette gegangen. Durch eine halboffene Tür hatte sie ihn in seinem alten Lesesessel sitzen sehen, dessen Spiralfedern auf den Boden hingen. Er hielt eine Kälte Pfeife in der Hand - er hatte vor einigen Jahren aufgehört zu rauchen, plötzlich, als wäre ihm klargeworden, daß die Tabakquote, die er sich im Leben zugeteilt hatte, aufgebraucht war. Sie betrachtete ihn und dachte, daß sie ihn immer so erlebt hatte. In allen Phasen ihres Lebens hatte sie hinter einer halboffenen Tür gestanden und ihn betrachtet, sich vergewissert, daß er da war und über sie wachte. Er hatte sie früh geweckt, wollte ihr keine Möglichkeit geben zu protestieren, als er sie aufforderte, sich für den Wald anzuziehen. Sie fuhren schweigend über den Fluß und bogen nach Norden ab, folgten der Straße, die in die Berge führte. Es knirschte unter den Reifen, der Wald war reglos. Auf einem Forstweg hielt er an und legte den Arm um sie. Kaum erkennbare Pfade schlängelten sich zwischen den Bäumen in verschiedene Richtungen. Er wählte einen von ihnen, und sie traten in das große Schweigen ein. Sie kamen zu einem Terrain, wo der Boden uneben war, mit Fichten bewachsen. Das war seine Galerie. Seine Skulpturen umgaben sie. Aus den Baumstämmen waren Gesichter herausgehauen, Körper, die versuchten, sich aus dem harten Holz zu befreien. Einige Bäume hatten viele Körper und Gesichter, die ineinander verflochten waren, an anderen war nur ein kleines Gesicht, vielleicht ein paar Meter über dem Boden. Er meißelte seine Kunstwerke kniend oder auf primitiven Leitern stehend, die er mit der Axt zusammenzimmerte. Ein Teil der Skulpturen war sehr alt. Er hatte sie vor über vierzig Jahren eingemeißelt, als er jung war. Die wachsenden Bäume hatten die Bilder gesprengt, Körper und Gesichter verändert, auf die gleiche Weise, wie Menschen sich verändern. Es gab Bäume, die gespalten waren, Köpfe waren auseinandergerissen, als wären die Figuren zerschmettert oder enthauptet worden. Er erzählte ihr, daß nachts manchmal Menschen kamen und seine Figuren heraussägten und mitnahmen. Es waren schon ganze Bäume verschwunden. Aber das machte ihm nichts aus. Er besaß zwanzig Hektar Fichtenwald, ein Vielfaches dessen, was für sein Leben ausreichen würde. Niemand konnte alles stehlen, was er für sich und die, die es sehen wollten, skulptierte.
    Es war der Morgen nach der ersten Frostnacht. Er betrachtete sie verstohlen, suchte nach Anzeichen dafür, daß sie zusammenbrechen würde. Aber sie war noch gedämpft von den starken Medikamenten, er war sich nicht einmal sicher, ob sie die Gesichter, die sie aus den Bäumen heraus betrachteten, überhaupt wahrnahm.
    Er führte sie zum Allerheiligsten, drei

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