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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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anderen Perspektive. Etwas an der guten Ordnung stimmte nicht. Sie konnte nicht sagen, was von dem Bild, das sie erwartete, abwich. Henrik würde nie aufräumen, um mir etwas zu erzählen, dachte sie. Es gelang ihr nicht, das, was sie beunruhigte, klar zu greifen. Sie ging in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Er war fast leer, doch auch das hatte sie erwartet.
    Dann wandte sie sich dem Schreibtisch zu. Sie zog die Schubladen heraus. Papiere, Fotos, alte abgerissene Bordkarten. Sie wählte eine beliebige aus. Am 12. August 1999 war Henrik mit Quantas nach Singapur geflogen. Er hatte auf Platz 37 G gesessen. Auf der Rückseite hatte er etwas notiert. »Der Anruf!! « Mehr nicht.
    Sie fuhr fort, sich vorsichtig seinem Leben zu nähern, den Teilen, die sie nicht kannte. Sie drehte die Schreibunterlage um, die Kakteen in einer Wüste zeigte. Darunter lag ein einzelner Brief. Sie sah sofort, daß er von Aron war. Seine sperrige Schrift, immer in größter Eile hingekrakelt. Sie zögerte, ob sie ihn lesen sollte. Wollte sie eigentlich wissen, was für ein Verhältnis sie gehabt hatten? Sie nahm den Umschlag und drehte ihn um. Da stand etwas, das eine unleserliche Adresse sein konnte.
    Sie trat ans Küchenfenster und versuchte sich vorzustellen, wie er reagieren würde. Aron, der stets mit Gefühlen geizte, der immer bemüht war, dem Leben und allen Verdrießlichkeiten gegenüber eine unberührte Haltung beizubehalten.
    Du brauchst mich, dachte sie. Genauso wie Henrik und ich dich gebraucht haben. Aber du bist nicht gekommen, als wir riefen. Zumindest nicht, als ich es tat.
    Sie kehrte an den Schreibtisch zurück und betrachtete den Brief. Statt ihn zu lesen, steckte sie ihn ein.
    In einer Kiste unter dem Schreibtisch lagen Henriks Kalender und Tagebücher. Sie wußte, daß er regelmäßig Eintragungen machte. Aber sie wollte nicht das Risiko eingehen, in seinen Tagebüchern zu finden, daß sie ihren Sohn nie gekannt hatte. Das mußte später kommen. Sie fand auch eine Anzahl von CDs, auf denen er notiert hatte, daß es sich um Kopien von seinem Computer handelte. Sie blickte sich um, konnte aber keinen finden. Die CDs steckte sie in ihre Handtasche.
    Sie schlug den Kalender für 2004 auf und blätterte ihn durch bis zur jüngsten Eintragung. Sie war zwei Tage vor ihrer Abreise aus Griechenland gemacht worden. Montag, der 13. September. Versuchen zu verstehen. Das war alles. Was wollte er verstehen? Sie blätterte zurück, aber es gab nur wenige Eintragungen aus den letzten Monaten. Sie blätterte vorwärts, zu den Tagen, die Henrik nicht mehr erleben sollte. Sie fand nur einen einzigen Eintrag: Am 10. Oktober. Nach B.
    Ich finde dich nicht, dachte sie. Immer noch kann ich deine Spuren nicht deuten. Was ist hier in der Wohnung geschehen ? In deinem Innern?
    Auf einmal wußte sie es. Jemand war in der Wohnung gewesen, nachdem Henrik fortgebracht und die Tür geschlossen worden war. Jemand war hier gewesen, genauso wie sie jetzt.
    Es waren nicht Henriks Spuren, die zu finden sie Schwierigkeiten hatte. Sie wurde gestört durch Spuren, die andere hinterlassen hatten. Die Kompaßnadel drehte sich.
    Sie durchsuchte methodisch den Schreibtisch und alle Regale. Aber vergeblich, es blieb bei diesem einen Brief von Aron.
    Plötzlich fühlte sie sich müde. Er muß eine Spur hinterlassen haben. Wieder beschlich sie dieses Gefühl. Jemand war in der Wohnung gewesen. Doch wer drang hier ein, um Ordnung zu machen und die Bettlaken mitzunehmen? Es mußte noch mehr fehlen, etwas, wonach sie nicht suchte. Doch warum die Laken? Wer hatte sie mitgenommen?
    Sie ging die Kleiderschränke durch. In einem stieß sie auf eine Anzahl dicker Mappen, die mit einem verschlissenen Schal zusammengebunden waren. Auf einen Umschlag hatte Henrik mit schwarzer Tusche K. H. geschrieben. Sie nahm die Mappen heraus und legte sie vor sich auf den Tisch. Die erste war voller Computerausdrucke und Fotokopien. Englische Texte. Sie blätterte darin und fing dann an zu lesen. Was sie las, verwunderte sie. Es ging um das Hirn des amerikanischen Präsidenten Kennedy. Sie las mit gefurchter Stirn, fing noch einmal von vorn an, weil sie flüchtig gelesen hatte, und machte es jetzt gründlicher.
    Als sie einige Stunden später die letzte Mappe zuklappte, war sie überzeugt. Es war kein natürlicher Tod. Die Katastrophe war von außen gekommen.
    Sie stellte sich ans Fenster und sah hinunter auf die dunkle Straße.
    Es gibt Schatten da unten, dachte sie. Einige von

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