Kennedys Hirn
Australienkarte vor sich?«
Louise hatte eine Karte gekauft. Sie entfaltete sie auf dem Bett.
»Setzen Sie den Finger auf Sydney. Folgen Sie dann den Straßen nach Westen in Richtung Melbourne. Dort bleiben Sie an der Küste, fahren in südlicher Richtung und halten an einem Ort namens Apollo Bay an. Haben Sie es?«
Sie sah den Namen.
»Nach meinen Informationen wohnt dort seit einigen Jahren ein Mann namens Aron Cantor. Wo sich sein Haus oder seine Wohnung befindet, konnte mein Gewährsmann nicht sagen. Aber er war sich ziemlich sicher, daß der Mann, den Sie suchen, in Apollo Bay wohnt.«
»Wer wußte, daß er dort lebt?«
»Ein alter Trawler-Kapitän, der die Nordsee so satt hatte, daß er auf die entgegengesetzte Seite der Erdkugel zog. Er verbringt einen Teil seiner Zeit an der Südküste. Er ist ein hemmungslos neugieriger Mensch, und er vergißt nie einen Namen. Ich glaube, Sie werden Aron Cantor in Apollo Bay finden. Es ist ein kleiner Ort, der nur im Sommer richtig zum
Leben erwacht. Zu dieser Jahreszeit gibt es dort nicht allzu viele Menschen.«
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.«
»Warum müssen Schweden immer so verdammt dankbar sein? Warum kann man sich nicht helfen, ohne mit dem unsichtbaren Rechnungsbuch anzukommen? Aber ich gebe Ihnen meine Telefonnummer, weil ich gern wissen möchte, ob Sie Ihren Mann gefunden haben.«
Sie schrieb Oskar Lundins Telefonnummer auf die Karte. Als er sich verabschiedete und auflegte, war es, als zöge er den Hut. Sie stand da, ohne sich zu rühren, und spürte, wie ihr Herz in der Brust pochte.
Aron lebte. Sie hatte doch keinen Fehler gemacht, als sie den Flug nach Griechenland abgebrochen hatte. Aus reinem Zufall war sie neben einer guten Fee mit Sommerhut an einem Restauranttisch gelandet.
Oskar Lundin könnte ein Bruder meines Vaters sein, dachte sie. Zwei ältere Männer, die nie zögern würden, mir zu helfen, wenn es nötig wäre.
In ihr barst ein Damm, und alle aufgestauten Kräfte brachen sich Bahn. In kürzester Zeit hatte sie einen Mietwagen bestellt, der zum Hotel gebracht wurde, und ihre Rechnung bezahlt. Sie verließ die Stadt, kam auf die Autobahn hinaus und fuhr in Richtung Melbourne. Jetzt hatte sie es eilig. Aron war vielleicht in diesem Ort namens Apollo Bay. Doch es bestand die Gefahr, daß es ihm plötzlich in den Sinn kam zu verschwinden. Wenn er jemanden witterte, der nach ihm suchte, machte er sich davon. Sie hatte vor, in Melbourne zu übernachten und dann auf der Küstenstraße nach Apollo Bay zu fahren.
Sie fand einen Kanal mit klassischer Musik. Es war das erste Mal nach Henriks Tod, daß sie wieder konzentriert Musik hörte. Kurz vor Mitternacht erreichte sie die inneren Stadtteile von Melbourne. Vage erinnerte sie sich an Olympische
Spiele, die hier stattgefunden hatten, als sie noch sehr klein war. Ein Name tauchte auf, der Hochspringer Nilsson, den ihr Vater sehr bewundert hatte. An der Außenwand seines Hauses hatte Artur angezeichnet, wie hoch die Latte gelegen hatte, als Nilsson die Goldmedaille gewann. Aber wie war noch sein Vorname? Rickard, meinte sie. Aber sie war sich nicht sicher. Vielleicht verwechselte sie zwei Personen oder sogar zwei Wettkämpfe. Sie würde ihren Vater fragen.
Sie stieg in einem Hotel in der Nähe des Parlamentsgebäudes ab, wieder viel zu teuer. Aber sie war müde, sie wollte keine Zeit mit Suchen vergeuden. Einige Straßenecken weiter fand sie ein Chinatown in Miniatur. In einem halbleeren Restaurant, in dem der größte Teil der Bedienungen wie gebannt auf einen Fernseher starrte, aß sie Bambussprossen mit Reis. Sie trank mehrere Gläser Wein, die ihr zu Kopf stiegen. Die ganze Zeit dachte sie an Aron. Würde sie ihn am nächsten Tag finden? Oder hatte er es geschafft, sich aus dem Staub zu machen ?
Nach dem Essen machte sie einen Spaziergang, um sich den Kopf durchpusten zu lassen. Sie kam in einen Park mit beleuchteten Wegen. Hätte sie keinen Wein getrunken, hätte sie jetzt ohne weiteres ihren noch nicht geöffneten Koffer wieder zum Auto tragen und die Reise fortsetzen können. Doch sie brauchte Schlaf. Der Wein würde ihr helfen.
Sie legte sich aufs Bett und schlug den Bettüberwurf um sich. Durch einen unruhigen Schlummer, in dem verschiedene Gesichter vorüberglitten, manövrierte sie auf die Morgendämmerung zu.
Um halb sieben hatte sie gefrühstückt und verließ Melbourne. Es regnete, und der Wind, der vom Meer wehte, war böig und kalt. Sie fröstelte, als sie sich
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