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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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aufgehört hatte zu angeln?
    Sie spürte Zorn über ihre Unsicherheit. Sobald sie in Arons Nähe kam, verlor sie ihre Entschlußkraft. Er war immer noch der Überlegene.
    Sie beschloß, ihn auf der Pier zu treffen.
    Er kann nirgendwohin, außer er springt ins Kälte Wasser. Diese Pier ist eine Sackgasse. Er kann nicht entkommen. Diesmal hat er vergessen, seinem Bau einen geheimen Notausgang zu geben.
    Als sie auf die Pier hinauskam, hatte er ihr den Rücken zugewandt. Sie sah seinen Nacken, die kahle Stelle am Hinterkopf war größer geworden. Es kam ihr vor, als wäre er geschrumpft, seine Gestalt machte einen Eindruck von Weichheit, wie sie sie früher nie mit ihm verknüpft hatte.
    Neben ihm lag ein Stück Plastikfolie, deren vier Ecken mit  Steinen beschwert waren. Drei Fische hatte er gefangen. Sie glichen einer Kreuzung aus Dorsch und Hecht, dachte sie, wenn eine solche Mischung überhaupt denkbar war.
    Sie wollte gerade seinen Namen sagen, als er sich umdrehte. Es war eine schnelle Bewegung, als hätte er Unheil geahnt. Er sah sie an, doch sie hatte die Kapuze ihrer Regenjacke hochgeschlagen und zugezogen, so daß er sie nicht gleich erkannte. Dann sah er, daß sie es war, und sie beobachtete, daß er Angst bekam. In ihrem gemeinsamen Leben war es so gut wie nie vorgekommen, daß Aron einen Ausdruck von Unsicherheit, ja sogar von Angst erkennen ließ.
    Es dauerte nur ein paar kurze Sekunden, bis er seine Fassung wiedergewonnen hatte.
    Er steckte die Angelrute zwischen ein paar Steinen fest.
    »Damit habe ich nicht gerechnet. Daß du mich hier finden würdest.«
    »Am wenigsten hast du damit gerechnet, daß ich dich suchen würde.«
    Er war ernst, wartete, fürchtete das, was kommen würde.
    Schon während der langen Stunden an Bord des Flugzeugs und auf der Autofahrt hatte sie sich vorgenommen, behutsam zu sein, den am wenigsten schmerzhaften Augenblick abzuwarten, um von Henrik zu erzählen. Jetzt sah sie ein, daß das unmöglich war.
    Es hatte wieder angefangen zu regnen, der Wind wurde immer böiger. Er drehte den Rücken gegen den Wind und kam auf sie zu. Sein Gesicht war bleich. Die Augen gerötet, als hätte er viel getrunken, die Lippen rissig. Lippen, die nicht küssen, werden rissig, hatte er immer gesagt.
    »Henrik ist tot. Ich habe alles versucht, um dich zu erreichen. Am Ende blieb nur das hier, ich bin hergekommen und habe dich gesucht.«
    Er sah sie ausdruckslos an, als hätte er nicht verstanden. Aber sie wußte, daß sie ein Messer in ihn gestoßen hatte und daß er den Schmerz spürte.
    »Ich habe Henrik tot in seiner Wohnung gefunden. Er lag im Bett, als schliefe er. Wir haben ihn auf dem Friedhof von Sveg begraben.«
    Aron schwankte plötzlich, als wäre er im Begriff zu fallen. Er lehnte sich gegen die nasse Steinwand und streckte die Hände aus. Sie ergriff sie.
    »Das kann nicht wahr sein.«
    »Ich glaube auch nicht, daß es wahr sein kann. Aber es ist so.«
    »Warum ist er gestorben?«
    »Wir wissen es nicht. Die Polizei und der Gerichtsmediziner sagen, er habe sich das Leben genommen.«
    Aron starrte sie wild an. »Sollte der Junge sich das Leben genommen haben? Das kann ich nie und nimmer glauben.«
    »Ich auch nicht. Aber in seinem Körper wurde eine große Menge Schlafmittel gefunden.«
    Mit einem Brüllen schleuderte Aron die Fische ins Wasser und warf den Eimer und die Angel über die Pier. Er packte Louise hart am Arm und zog sie mit sich. Er sagte ihr, sie solle hinter seinem Wagen herfahren, einem alten rostigen VW-Bus. Sie verließen Apollo Bay und fuhren in die Richtung, aus der sie gekommen war. Dann bog Aron auf eine kurvige Seitenstraße ein, die sich zwischen hohen Hügeln dahinwand, die steil zum Meer hin abfielen. Er fuhr schnell und schlingernd, als wäre er betrunken. Louise fuhr dicht hinter ihm. Tief zwischen den Hügeln bogen sie ab auf einen Weg, kaum mehr als ein Pfad, der steil aufwärts führte, bis sie zu einem Holzhaus am äußersten Rand einer Felskante gelangten. Louise stieg aus dem Wagen und dachte, daß sie sich Arons Verstecke genau so vorgestellt hatte. Die Aussicht war grenzenlos, das Meer erstreckte sich bis zum Horizont.
    Aron riß die Tür auf, griff sich von einem Tisch neben dem offenen Kamin eine Flasche Whisky und füllte ein Glas. Er sah sie fragend an, doch sie schüttelte den Kopf. Jetzt mußte sie nüchtern bleiben. Es reichte, daß Aron jedes Maß verlieren und an einen Punkt kommen konnte, wo er gewalttätig wurde, wenn er trank. Sie

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