Kennedys Hirn
ins Auto setzte.
Irgendwo dort draußen im Regen war Aron.
Er erwartet mich nicht, er erwartet auch nicht, von der Tragödie zu hören, die über ihn hereingebrochen ist. Bald hat die Wirklichkeit ihn eingeholt.
Gegen elf Uhr war sie am Ziel. Es hatte während der Fahrt ununterbrochen geregnet. Apollo Bay bestand aus einer schmalen Reihe von Häusern an einer Meeresbucht. Eine Pier hielt die Wellen von einer kleinen Flotte von Fischerbooten ab. Sie parkte neben einem Cafe, blieb im Wagen sitzen und sah zwischen den hin- und herschlagenden Scheibenwischern in den Regen hinaus.
Hier im Regen ist Aron. Aber wo finde ich ihn?
Die Aufgabe erschien ihr einen Moment lang unlösbar. Doch sie wollte nicht aufgeben, nicht jetzt, wo sie auf die andere Seite des Erdballs geflogen war. Sie stieg aus und lief über die Straße in einen Laden, in dem Sportbekleidung verkauft wurde. Dort fand sie eine Regenjacke und eine Schirmmütze. Die Verkäuferin war eine junge Frau, schwanger und übergewichtig. Louise fand, daß sie nichts zu verlieren hatte, wenn sie sie fragte.
»Kennen Sie Aron Cantor? Ein Mann aus Schweden. Er spricht gut Englisch, aber mit Akzent. Er soll hier in Apollo Bay wohnen. Wissen Sie, wen ich meine? Wissen Sie, wo er wohnt ? Und wenn Sie es nicht wissen, wen kann ich sonst fragen?«
Louise war sich nicht sicher, ob die Verkäuferin sich wirklich angestrengt hatte, als sie antwortete:
»Ich kenne keinen Schweden.«
»Aron Cantor. Ein ungewöhnlicher Name.«
Die Verkäuferin gab ihr das Wechselgeld und schüttelte uninteressiert den Kopf. »Hier gehen so viele Menschen ein und aus. «
Louise zog die Jacke an und verließ den Laden. Der Regen hatte nachgelassen. Sie ging an der Reihe von Häusern entlang und sagte sich, daß dies das ganze Apollo Bay war. Eine Straße an der Bucht, eine Häuserreihe, das war alles. Das Meer war grau. Sie betrat ein Cafe, bestellte einen Tee und versuchte nachzudenken. Wo konnte Aron sein, wenn er wirklich hier wohnte? Er war gern draußen in Regen und Wind. Er angelte gern.
Der Mann, der ihr den Tee gebracht hatte, ging im Lokal herum und wischte die Tische ab.
»Wo angelt man hier in Apollo Bay, wenn man kein Boot hat?«
»Sie stehen meistens ganz draußen auf der Pier. Oder sie angeln im Hafenbecken.«
Sie fragte auch ihn nach einem Fremden mit Namen Aron Cantor. Der Mann schüttelte den Kopf und fuhr fort, seine Tische abzuwischen. »Vielleicht wohnt er im Hotel? Es liegt auf dem Weg zum Hafen. Fragen Sie dort.«
Louise wußte, daß Aron es nie ertragen würde, längere Zeit in einem Hotel zu wohnen.
Der Regen hatte aufgehört, die Wolkendecke begann sich aufzulockern. Sie kehrte zum Wagen zurück und fuhr zum Hafen, ohne am Hotel Eagle's Inn anzuhalten.
Sie parkte an der Einfahrt zum Hafengelände und ging den Kai entlang. Das Wasser war ölig und schmutzig. Ein mit nassem Sand beladener Prahm scheuerte gegen die kaputten Traktorreifen an der Kaimauer. Ein Fischerboot mit Hummerreusen hieß Pieta, und sie fragte sich zerstreut, ob der Name gute Fänge segnen solle. Sie nahm die innere Pier. Ein paar Jungen angelten konzentriert und beobachteten ihre Schnüre, ohne auch nur einen Blick in ihre Richtung zu werfen. Sie sah zu dem äußeren Pierarm hinüber, der sich vom inneren Hafenbecken weit hinaus ins Wasser erstreckte. Dort draußen stand jemand und angelte, vielleicht waren es auch mehrere Personen. Sie drehte um und wandte sich dem längeren Pierarm zu.
Der Wind hatte aufgefrischt und wehte böig zwischen den großen Steinblöcken, die die äußere Mauer der Pier bildeten. Sie war so hoch, daß Louise das Meer dahinter nicht sehen konnte, sie hörte nur das Rauschen.
Jetzt erkannte sie, daß dort draußen ein Mann stand und angelte. Er bewegte sich fahrig, wie von einer plötzlichen Ungeduld erfaßt.
Sie empfand eine Mischung aus Freude und Schrecken. Es war Aron, niemand sonst hatte solch fahrige Bewegungen. Aber es war zu leicht, zu schnell gegangen, ihn zu finden.
Ihr kam in den Sinn, daß sie keine Ahnung davon hatte, was für ein Leben er jetzt führte. Er konnte sehr wohl wieder verheiratet sein, er hatte vielleicht andere Kinder. Der Aron, den sie gekannt und geliebt hatte, existierte vielleicht nicht mehr. Der Mann, der hundert Meter von ihr entfernt mit einer Angelrute im schneidenden Wind stand, konnte sich als jemand erweisen, den sie überhaupt nicht mehr kannte. Vielleicht sollte sie zum Wagen zurückkehren und ihm folgen, wenn er
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