Kennedys Hirn
ihren Begräbnissen. Ich habe drüben noch eine Schwester, mit der ich jedes Jahr zu
Weihnachten telefoniere. Aber sonst lebe ich hier. Und ich bin Gärtner geworden. Mit eigener Firma, die nicht nur Hecken und Obstbäume beschneidet, sondern den Leuten, die es bezahlen können und wollen, ganze Gärten anlegt.«
Er trank seinen Kaffee und rückte den Stuhl so hin, daß die Sonne auf sein Gesicht fiel.
Louise dachte, daß sie nichts zu verlieren hatte. »Ich suche einen Mann«, sagte sie. »Er heißt Aron Cantor. Wir waren einmal verheiratet. Ich glaube, er ist hier in Australien.«
»Sie glauben?«
»Ich bin nicht sicher. Ich habe bei der Botschaft und bei der Freundschaftsvereinigung nachgefragt. «
Oskar Lundin zog eine abschätzige Miene. »Die haben keinen Überblick über die Schweden, die hier im Land leben. Die Vereinigung ist wie ein Heuhaufen, in dem sich alle möglichen Nadeln verstecken können.«
»Ist das so? Daß Menschen herkommen, um sich zu verstecken?«
»Genauso wie Menschen von hier in ein Land wie Schweden gehen, um ihre Sünden zu verbergen. Ich glaube nicht, daß sich besonders viele schwedische Schurken hier versteckt halten. Aber den einen oder anderen gibt es bestimmt. Vor zehn Jahren hatten wir hier einen Mann aus Ange, der einen Mord begangen hatte. Den haben die schwedischen Behörden nie gefunden. Und jetzt ist er tot und liegt unter einem ganz und gar eigenen Grabstein in Adelaide. Aber ich nehme an, der Mann, den Sie suchen, wird nicht wegen eines Verbrechens gesucht.«
»Nein. Aber ich muß ihn finden.«
»Das müssen wir alle. Die Menschen finden, die wir suchen.«
»Was würden Sie an meiner Stelle machen?«
Oskar Lundin rührte eine Weile nachdenklich in seiner fast leeren Kaffeetasse. »Ich würde wohl mich bitten, Ihnen zu helfen«, sagte er schließlich. »Ich habe so unendlich viele Kontakte in diesem Land. Australien ist ein Kontinent, in dem das meiste noch immer durch Kontakte von Mensch zu Mensch geschieht. Wir rufen und wir flüstern einander zu, und meist erfahren wir auch, was wir wissen wollen. Wo kann ich Sie erreichen?«
»Ich wohne im Hilton. Aber eigentlich ist es zu teuer für mich.«
»Bleiben Sie noch zwei Tage da, wenn Sie es sich leisten können. Länger wird nicht nötig sein. Wenn ich ihn nicht finde, müssen Sie woanders suchen. Neuseeland kann ein guter zweiter Schritt sein.«
»Es fällt mir schwer zu glauben, daß ich ein solches Glück habe, Sie getroffen zu haben. Und daß Sie einem vollkommen unbekannten Menschen helfen wollen.«
»Ich versuche vielleicht, das Gute zu tun, das mein Vater immer nur zu tun vorgab.«
Oskar Lundin winkte den Kellner heran und bezahlte. Er zog den Hut, als er ging. »Innerhalb von achtundvierzig Stunden lasse ich von mir hören. Hoffentlich mit guten Neuigkeiten. Aber ich mache mir bereits Sorgen, ich konnte zuviel versprochen haben. Manchmal habe ich zu viele Früchte an den von mir gepflanzten Apfelbäumen versprochen. Das verfolgt mich immer noch.«
Sie sah ihn in die Sonne hinaustreten und den Kai entlang zur Fährstation gehen, die vor einem Hintergrund von Wolkenkratzern lag. Ihre Menschenkenntnis erwies sich häufig als mangelhaft. Aber daß Oskar Lundin versuchen würde, ihr zu helfen, daran zweifelte sie nicht.
Dreiundzwanzig Stunden später klingelte in ihrem Zimmer das Telefon. Sie war gerade von einem langen Spaziergang zurückgekehrt. Unterwegs hatte sie sich überlegt, was sie unternehmen würde, falls Oskar Lundin ihr keine Hinweise geben konnte oder sie genarrt hatte und überhaupt nicht von sich hören ließ. Am selben Tag hatte sie auch mit ihrem Vater gesprochen und nach Griechenland telefoniert und erklärt, sie müsse noch eine, wenn nicht zwei Wochen mit ihrer Trauer allein sein. Die Kollegen brachten ihr das gleiche Verständnis entgegen wie bisher, doch sie wußte, daß sie sich bald auf der Ausgrabung zeigen müßte, damit die Ungeduld über ihre Abwesenheit nicht überhandnahm.
Sie erkannte Oskar Lundins Stimme, er sprach ein freundliches Schwedisch, ohne all die Wörter, die in den langen Jahren seiner Abwesenheit von Schweden in Mode gekommen waren. Ein solches Schwedisch wurde in meiner Kindheit gesprochen, hatte sie nach ihrer ersten Begegnung gedacht.
Oskar Lundin kam sofort zur Sache. »Ich glaube, ich habe Ihren flüchtigen Mann gefunden«, sagte er. »Es sei denn, es gibt noch mehr Schweden mit dem Namen Aron Cantor.«
»Es kann nur einen geben.«
»Haben Sie eine
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