Kennedys Hirn
materiellen Möglichkeiten, indem wir zulassen, daß das furchtbare Elend noch zunimmt. Wir haben uns schon lange dadurch unserer Verantwortung entledigt, daß wir Mittel in die Hände internationaler Institutionen wie der Weltbank legen, deren politische Maßnahmen meistens nichts anderes beinhalten, als daß menschliches Leiden auf dem Altar der arroganten ökonomischen Beratung geopfert wird. Unser Gewissen haben wir längst abgeschrieben.«
Dieser Witterman nimmt kein Blatt vor den Mund, dachte sie. Sein Zorn hatte Henriks Aufmerksamkeit erregt.
In den Plastikhüllen befanden sich auch Seiten aus einem Kollegblock. Henrik hatte angefangen, Wittermans Artikel ins Schwedische zu übersetzen. Sie sah, daß es ihm Schwierigkeiten bereitet hatte, die Worte zu finden, Schwierigkeiten, sich in den Rhythmus der langen Sätze hineinzufinden. Sie legte den Artikel zur Seite und blätterte weiter. Plötzlich tauchte wieder Kennedys Hirn auf. Henriks Notizen waren auf verschiedenen losen Blättern hingeworfen. Sie legte sie in der passenden Reihenfolge vor sich hin und las.
»Am 21. Januar 1967 führte der amerikanische Generalstaatsanwalt Ramsey Clark ein Telefongespräch. Er war unsicher und machte sich Sorgen, welche Reaktion er hervorrufen würde. Nachdem er die Nummer gewählt hatte, sprach er mit einem Sekretär, der ihn zu warten bat. Eine unwirsche Stimme meldete sich am Telefon. Präsident Lyndon B. Johnson konnte ein umgänglicher und freundlicher Mann sein, aber ebensooft war er unwirsch, wenn ihm etwas nicht paßte.
Guten Morgen, Mister President.<
>Was ist eigentlich los? Ich dachte, alles wäre klar, nachdem Jack auf dem Marinestützpunkt obduziert worden ist?< >Wir haben die drei Pathologen nach Washington bestellt. Wir mußten Fink sogar aus Vietnam holen.< >Fink ist mir scheißegal! Hier steht eine Delegation aus Arkansas vor der Tür und wartet. Sie wollen über Hafer und Weizen reden. Ich habe verdammt noch mal keine Zeit für das hier.
>Entschuldigen Sie, Mister President. Ich fasse mich kurz. Die drei waren gestern in den Archiven. Unter anderem Doktor Humes, der vor der Warren-Kommission ausgesagt hat, über ein Foto der rechten Lunge. Es war wichtig für die Feststellung, wie Kennedy gestorben ist.<
>Das habe ich doch im Bericht der Kommission gelesen. Was wollen Sie eigentlich noch?<
>Es scheint, als hätten wir ein Problem. Das Foto ist nicht mehr da.< >Was meinen Sie mit nicht mehr da?<
>Es ist verschwunden. Vermutlich auch ein weiteres Bild, von dem Eintrittsloch der Kugel, die die direkte Todesursache war.<
>Wie zum Teufel können Fotos von Kennedys Obduktion verschwinden? <
>Wie kann sein Hirn verschwinden? < > Was geschieht jetzt? <
>Die Ärzte sind natürlich sehr betroffen, weil sie zuvor unter Eid ausgesagt haben, daß die Fotos da waren. Jetzt sind sie weg. Zumindest eins.< >Werden die Zeitungen in der Sache herumgraben?< >H öchstwahrscheinlich. Alles wird wieder aufgewühlt. Die Verschwörungstheorien, Oswald war nicht allein, alles, was wir wegzuschließen versucht haben, kann wieder hervorgeholt werden.
>Ich habe keine Zeit mehr für Jack. Er ist tot. ich versuche, hier Präsident zu sein, ich versuche, einen wahnsinnigen Krieg in Vietnam in den Griff zu bekommen, und Neger, die auf den Straßen Amok laufen, wenn wir nicht bald die Bürgerrechtsfragen lösen. Sorgen Sie dafür, daß diese Ärzte nicht zuviel reden. Und schicken Sie Fink so schnell wie möglich zurück nach Vietnam.<«
Henrik beschloß die Wiedergabe mit der Bemerkung, daß sie aus »Justice Department, recently opened archives« entnommen war. Er fügte einen eigenen Kommentar hinzu.
»Alles scheint begraben zu werden. Lästige Fakten werden unter den Teppich gekehrt. Wir leben in einer Welt, in der es wichtiger ist, Fakten zu verschleiern, als sie zu enthüllen. Wer heimlich in die dunkelsten Winkel leuchtet, kann nie sicher sein, was er oder sie findet. Ich muß damit fortfahren zu leuchten. Bald werde ich alle diese Dokumente über Kennedy und sein verfluchtes Hirn weglegen. Aber sie sind wie ein Handbuch für die Welt der Lüge - und damit die der Wahrheit.«
Louise ging die Papierbündel weiter durch. Sie stieß auf eine Karte über die südlichen Teile von Mozambique. Henrik hatte um eine Stadt mit Namen Xai-Xai und ein Gebiet unmittelbar nordwestlich davon einen Kreis gezogen.
Louise legte die Karte zur Seite. Auf dem Boden der Sporttasche lag ein brauner Umschlag. Louise öffnete ihn. Er
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