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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wie Henrik bei mir gewohnt hat.«
    Sie entschied sich sofort, das Angebot anzunehmen.
    Er stand auf. »Ich habe eine Sitzung mit dem Botschafter und den Sachbearbeitern der Hilfsprogramme. Es geht um Gelder, die auf mystische Weise von einem Konto der Ministerien verschwunden sind. Es handelt sich natürlich um Korruption, raffgierige Minister, die Geld brauchen, um ihren Kindern Häuser zu bauen. Wir vergeuden eine Unmenge von Zeit mit derartigen Vorfällen.«
    Er brachte sie zur Rezeption.
    »Henrik hat eine Sporttasche zurückgelassen, als er zuletzt hier war. Ich weiß nicht, was darin ist. Aber als ich sie in einen Kleiderschrank stellte, merkte ich, daß sie sehr schwer war.« »Sie kann also nicht nur Kleidung enthalten?«
    »Nein, vermutlich Bücher und Papiere. Ich kann sie heute abend ins Hotel bringen. Leider habe ich ein Abendessen bei einem französischen Kollegen, das ich nicht absagen kann. Am liebsten wäre ich allein. Ich bin tief betroffen, daß Henrik nicht mehr da ist. Ich habe es noch immer nicht richtig begriffen.«
    Sie trennten sich auf dem kleinen Vorplatz des Botschaftsgebäudes.
    »Ich bin gestern angekommen und sofort beraubt worden.«
    »Sie sind nicht verletzt worden?«
    »Nein, aber es war mein eigener Fehler. Ich weiß, daß man nie leere Straßen betreten darf, sondern sich immer unter Menschen bewegen soll.«
    »Die gerissensten Räuber haben eine imponierende Fähigkeit, sofort zu erkennen, ob eine Person gerade erst ins Land gekommen ist. Aber man kann die Menschen hier kaum als kriminell bezeichnen. Die Armut ist entsetzlich. Was tut man, wenn man fünf Kinder hat und keine Arbeit? Wenn ich einer der Armen in dieser Stadt wäre, würde ich jemanden wie mich berauben. Ich bringe die Tasche gegen sieben Uhr.«
    Sie kehrte zum Hotel zurück. In einem Versuch, ihre Bedrückung abzuschütteln, kaufte sie sich in einem Laden im Hotel einen viel zu teuren Badeanzug. Dann ging sie hinunter zum Pool und schwamm viele Längen hin und zurück in dem leeren Becken, bis sie sich müde geschwommen hatte.
    Ich treibe im Röstjärn, dachte sie. Da sind mein Vater und ich geschwommen, als ich Kind war. Das Wasser war so schwarz, daß man nicht hindurchsehen konnte. Er jagte mir immer einen Schrecken ein, wenn er sagte, der See habe keinen Grund. Wir schwammen dort an den Sommerabenden, wenn die Mücken schwirrten, und ich liebte ihn, weil er so kräftige Schwimmzüge machte.
    Sie kehrte zu ihrem Zimmer zurück und legte sich nackt aufs Laken. Ihre Gedanken wanderten.
    Lucinda und Nazrin? Die Wohnung in Barcelona und die Wohnung in Stockholm? Warum hatte er so vieles verschleiert? Und warum hatte er einen Schlafanzug an, als er starb?
    Sie schlief ein und wurde vom Telefon geweckt.
    »Hier ist Lars Häkansson. Ich bin hier an der Rezeption mit Henriks Tasche.«
    »Ist es schon sieben? Ich stehe unter der Dusche.«
    »Ich kann warten. Ich bin früher, als ich gedacht hatte. Es ist erst vier Uhr.«
    Sie zog sich hastig an und eilte die Treppe hinunter. Hakans-son stand auf, als sie kam. Er hatte eine schwarze Sporttasche bei sich, auf der in roter Schrift Adidas stand.
    »Ich hole Sie morgen gegen elf Uhr ab.«
    »Ich hoffe, ich mache Ihnen keine Umstände?«
    »Keineswegs. Nicht im geringsten.«
    Sie ging zurück auf ihr Zimmer und öffnete die Tasche. Zuoberst lagen eine Hose und eine Jacke aus dünnem Khaki. Es waren Sachen, die sie Henrik nie hatte tragen sehen. Darunter lagen Plastikhüllen mit Papieren, einige Mappen vom gleichen Typ, wie sie sie in Stockholm und Barcelona gefunden hatte. Sie leerte die Tasche auf dem Bett aus. Am Boden war rote Erde, die herausrieselte. Sie nahm sie zwischen die Finger. Wieder die rote Erde.
    Sie machte sich daran, die Papiere durchzusehen. Ein getrocknetes Insekt, ein Schmetterling, fiel aus einem Bündel Fotokopien. Es war ein Artikel in englischer Sprache, verfaßt von einem Professor Ronald Witterman von der Universität Oxford. Der Titel lautete: »Der Wartesaal des Todes, eine Reise durch die arme Welt von heute.« Der Artikel war von heller Empörung getragen. Hier war nichts von dem ruhigen und beherrschten Stil zu spüren, der debattierende Professoren meistens kennzeichnet. Witterman sprühte förmlich vor Entrüstung: »Zu keinem Zeitpunkt haben wir so große Ressourcen zur Verfügung gehabt, um für immer mehr Menschen eine erträgliche Welt zu schaffen. Statt dessen beleidigen wir unser ganzes Bewußtsein, unsere intellektuelle Kraft, unsere

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