Keraban Der Starrkopf
Abends, als der Wagen vor einer Herberge von ziemlich dürftigem Aussehen Halt machte, und doch war das noch das beste Gasthaus des Ortes. In diesen weltverlassenen Theilen des Chersones durfte man sich eben nicht wählerisch zeigen.
»Höre, Ahmet, begann da der Seigneur Keraban, wir sind nun mehrere Nächte und Tage hindurch gefahren, ohne anderswo zu ruhen, als bei den Poststationen. Ich würde jetzt nicht bös sein, mich ein paar Stunden in einem Bette auszustrecken, und wenn’s auch nur ein Gasthofsbett wäre.
– Und ich wäre entzückt darüber, setzte Van Mitten hinzu, der sich mühsam reckte und die Glieder dehnte.
– Wie! Zwölf Stunden verlieren! rief Ahmet. Zwölf Stunden bei einer Reise von sechs Wochen!
– Wünschest Du, daß wir darüber eine Verhandlung anfangen? erwiderte Keraban mit dem etwas gereizten Tone, der ihm so gut anstand.
– Nein, lieber Onkel, nein! versicherte Ahmet. Sobald Du ein Bedürfniß nach Ruhe fühlst…
– Ja, das fühle ich allerdings; Van Mitten auch, so gut wie Bruno und selbst Nizib, der sich gar nichts Besseres wünschen wird.
– Seigneur Keraban, sagte Bruno, da sein Name erwähnt worden war, ich halte diese Idee für eine der besten, die Sie seit langer Zeit gehabt haben, vorzüglich wenn ein gutes Abendbrod uns in den Stand gesetzt hat, auch gut zu schlafen.«
Diese Bemerkung Brunos kam ganz zur rechten Zeit. Die Vorräthe des Wagens waren nahezu erschöpft. Was davon in den Kutschkästen noch übrig geblieben, war der Rede kaum werth und durfte nicht verbraucht werden, ehe man nach Kertsch kam, der bedeutendsten Stadt der Halbinsel dieses Namens, wo dieselben nach allen Seiten erneut werden konnten.
Wenn die Betten des Gasthofes in Arabat nun, selbst für Reisende dieser Art, so erträglich zu nennen waren, so ließ leider die Küche sehr viel zu wünschen übrig. Touristen gibt es hier, gleichviel zu welcher Jahreszeit, nicht viele, welche bis nach der äußersten Grenze von Tauris vordringen. Einige Kaufleute oder Salzhändler, deren Pferde oder Karren auf der Straße von Kertsch nach Perekop hinziehen, bilden die Hauptgäste des Gasthofes in Arabat, und diese sind nicht verwöhnt, schlafen nöthigenfalls auf der harten Diele und essen, was sich eben findet.
Der Seigneur Keraban und seine Begleiter mußten sich also mit einer sehr mageren Tafel begnügen, das heißt mit einer Schüssel Pilaw, das gewöhnliche Nationalgericht, aber mit mehr Reis als Huhn und mehr Rumpfknochen als Flügeln, so alt und deshalb so hart, daß es fast Keraban selbst widerstanden hätte; die soliden Backzähne des Starrkopfes trugen jedoch über seine Zähigkeit den Sieg davon, und auch bei dieser Gelegenheit gab er nicht mehr nach als gewöhnlich.
Diesem vorschriftsmäßigen Gericht folgte eine wirkliche Schüssel Yaourtz oder geronnene Milch, welche zum Hinunterschlucken des Pilaw sehr passend gefunden wurde; dann erschienen ziemlich appetitliche kleine Kuchen, die im Lande unter dem Namen »Katlamas« bekannt sind.
Bruno und Nizib kamen bei der Tafel etwas weniger gut oder weniger schlecht weg, wie man will. Ihre Kinnladen wären gewiß mit dem ledernsten aller Hühner fertig geworden, doch fanden sie keine Gelegenheit, diesen Beweis zu liefern. Die Stelle des Pilaw vertrat auf ihrem Tische eine schwärzliche Substanz, welche eingeräuchert aussah wie die Platten eines Kochheerdes, unter dem schon lange gefeuert worden ist.
– Was ist das? fragte Bruno.
– Ich weiß es nicht.
– Was, das wissen Sie nicht, der Sie hier aus dem Lande sind?
– Ich bin nicht aus diesem Lande.
– Doch beinahe, da Sie Türke sind! erwiderte Bruno. Wohlan, Kamerad, kosten Sie erst diese vertrocknete Schuhsohle, und sagen Sie mir dann, was Sie davon denken.«
Nizib, nachgiebig wie immer, biß kräftig in das Stück genannter Schuhsohle.
»Nun?«… fragte Bruno.
– Na, eine Delicatesse ist es gerade nicht; aber es läßt sich zur Noth essen.
– Ja freilich, Nizib, wenn man vor Hunger umkommt und nichts Weiteres zu beißen hat!«
Bruno kostete nun auch selbst, entschlossen Alles für Alles zu wagen.
Unter Zuhilfenahme mehrerer Gläser einer Art alkoholisirten Bieres, dessen sie sich denn auch bedienten, mochte das Gericht so hingehen.
Plötzlich rief aber Nizib:
»Ah, sei mir Allah gnädig!
– Was ficht Sie denn an, Nizib?
– Ah, ich glaube, ich habe Schweinefleisch gegessen?…
– Schweinefleisch! wiederholte Bruno. Ah, richtig, Nizib, ein echter Muselmann darf sich
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