Keraban Der Starrkopf
weiter, und nach einer Etape von zwölf Lieues erreichte man ohne Unfall, aber tüchtig durchgeschüttelt, woran die an solchen Dienst nicht gewöhnten kräftigen Thiere die meiste Schuld trugen, endlich Kertsch.
Der Seigneur Keraban und seine Gefährten hatten, da sie am 17. August abgereist waren, binnen neunzehn Tagen drei Siebentel ihres Weges zurückgelegt – etwa dreihundert Lieues von siebenhundert. Sie hielten also eine mittlere Geschwindigkeit ein, und wenn das noch sechsundzwanzig Tage so weiter ging, mußten sie bis zum 30. September ihre Fahrt um das Schwarze Meer in der berechneten Zeit vollendet haben.
»Und dennoch befürchte ich, bemerkte Bruno öfter seinem Herrn, daß die ganze Geschichte ein schlechtes Ende nimmt!
– Für meinen Freund Keraban?
– Für Ihren Freund Keraban… oder für Die, die ihn begleiten!«
Vierzehntes Capitel.
Worin der Seigneur Keraban sich in der Geographie mehr bewandert zeigt, als sein Neffe Ahmet geglaubt hätte.
Die Stadt Kertsch liegt auf der Halbinsel, welche ihren Namen trägt, am östlichen Ende von Tauris. Sie dehnt sich halbmondförmig auf der Nordseite dieser Landzunge aus. Ein Berg, auf dem einst die Citadelle stand, ragt majestätisch über derselben empor. Das ist der Berg Mithridates. Der Name dieses furchtbaren und unversöhnlichen Feindes der Römer, der diese bald aus Asien vertrieben hätte, dieses kühnen Heerführers, dieses ausgezeichneten Polyglotten und sagenhaften Toxikologen ziemt einer Stadt, welche einst die Hauptstadt des Königreichs des Bosporus gewesen war. Hier war es, wo der König von Pontus, der schreckliche Eupator, sich von dem Schwerte eines gallischen Soldaten durchbohren ließ, nachdem er vergeblich versucht, seinen eisernen Körper, der schon an Gifte gewöhnt war, durch ein solches zu vernichten.
So lautete die kleine Geschichtslection, welche Van Mitten während einer halbstündigen Rast seinen Begleitern zu Theil werden ließ. Er erhielt darauf von seinem Freunde Keraban nur die Antwort:
»Mithridates war ein Dummkopf!
– Und weshalb? fragte Van Mitten.
– Wenn er sich hätte vergiften wollen, brauchte er nur in unserem Gasthofe zu Arabat zu speisen.«
Auf eine solche Bemerkung hin glaubte der Holländer seine Gedächnißrede auf den Gemahl der schönen Monime nicht fortsetzen zu sollen, wohl aber nahm er sich vor, dessen Hauptstadt während der wenigen Stunden ihrer Rast in Augenschein zu nehmen.
Der Wagen rollte durch die Stadt mit seiner eigenthümlichen Bespannung zum großen Erstaunen der hybridischen (d. i. gemischten) Bevölkerung, welche in der Hauptsache aus Juden, aber auch aus Tataren, Griechen und selbst Russen – zusammen etwa 72.000 Einwohnern – bestand.
Nach der Ankunft im Hôtel Constantin war es Ahmets erste Sorge, sich zu erkundigen, ob für den folgenden Morgen Pferde zu haben seien. Zu seiner großen Befriedigung fehlte es diesmal in den Ställen der Posthalterei an solchen nicht.
»Es ist ein wahres Glück, bemerkte der Seigneur Keraban, daß jener Seigneur Saffar doch nicht Alles aus dieser Station weggenommen hat.«
Der wenig duldsame Onkel Ahmets bewahrte aber trotzdem einen gewissen Ingrimm gegen den Unverschämten, der sich erlaubte, ihm auf seinem Wege vorauszufahren und die Postpferde vorwegzunehmen.
Da er die Dromedare jetzt nicht mehr brauchte, verkaufte er sie wieder an einen Karavanenführer, der sich über die Meerenge von Jenikaleh begab; freilich veräußerte er sie lebend nur für den Preis, der sonst für dergleichen todte Thiere bezahlt wird. Er erlitt also einen nicht unbedeutenden Verlust, den der einmal grollende Keraban natürlich dem Seigneur Saffar auf das Schuldconto schrieb.
Es versteht sich von selbst, daß jener Saffar nicht mehr in Kertsch war, wodurch er einer sehr ernsthaften Auseinandersetzung mit seinem Concurrenten entging. Seit zwei Tagen schon hatte er die Stadt verlassen, um den Weg nach dem Kaukasus einzuschlagen. Das war für die Reisenden wenigstens insofern vortheilhaft, als er ihnen nicht mehr auf der Straße längs der Küste vorausfuhr.
Ein gutes Abendbrot im Hôtel Constantin und eine ruhige Nacht in den ziemlich hübschen Gastzimmern ließ Herren und Diener die früheren Mühseligkeiten bald vergessen.
Ein von Ahmet nach Odessa gerichteter Brief enthielt denn auch die Nachricht, daß die Reise nach Wunsch von Statten gehe.
Da die Abreise am Morgen des 5. September erst auf zehn Uhr Vormittags angesetzt war, erhob sich der gewissenhafte Van
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