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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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sich das Schicksal der spanischen Expeditionsarmee entscheiden. Siegte man, so konnte man anschließend zum Angriff übergehen. Im Fall einer Niederlage aber blieb allenfalls noch die Rettung auf die Schiffe, die nahe der Küste vor Anker lagen. Es wurde zwei Uhr — drei Uhr — halb vier.
    »Por Dios, möchte wissen, wann der Kerl angreifen wird«, sagte der General zu einem der neben ihm haltenden Ordonnanzoffiziere.
    Ein anderer hoher Offizier wischte sich fortwährend den Schweiß vom Gesicht. Unruhig saß er zu Pferde, dessen Zügel er in der verkrampften, schweißigen Faust hielt. Die Nervosität teilte sich den Soldaten mit. Das Warten zermürbte.
    Da erscholl plötzlich ein Hornruf. Er fuhr der ganzen Armee in die Knochen. Fertigmachen zum Kampf!
    Die Sonne stand schon weit im Westen, im Rücken der Spanier, und blendete sie nicht. Jetzt brauste er heran. Man konnte noch keine Einzelheiten unterscheiden. Ein fernes Geheul ließ die Luft erzittern, und unter dem Stampfen der Kameltritte und Pferdehufe dröhnte die Erde. Der General ritt an die Flanke und kommandierte: »Offiziere heraustreten!«
    Die Offiziere marschierten mit erhobenem Degen sechs Schritte vor die Front. Dann machten sie halt — eine Links- bzw. Rechtswendung — und marschierten wie auf dem Kasernenhof an die rechte und linke Flanke des Heeres. Wieder eine Kehrtwendung — und sie standen mit den Gesichtern zu ihren Soldaten.
    Vorn schien die Hölle losgelassen zu sein. Man konnte jetzt mit bloßem Auge sehen, wie der Angriff sich entwickelte. Der Gegner hatte keine Schlachtordnung. DieKamelreiter bildeten die Spitze. Aber die Kavallerie, die es gar zu eilig hatte, ritt teilweise schon mitten zwischen ihnen. »Erstes Glied — hinlegen! — Zweites Glied — knien!«
    Immer näher heran kamen die Scharen des Daj. Das Geheul wurde schier unerträglich für europäische Ohren.
    Die Offiziere standen noch immer in stoischer Ruhe mit erhobenen Degen auf demselben Fleck. Bis auf zweihundert Meter waren die Angreifer heran. Und noch kam kein Befehl, die Gewehre anzulegen.
    Hundertfünfzig Meter — hundertfünfundzwanzig Meter-Die Stimme des Generals: »Erstes Glied — legt an!«
    Die Offiziere rissen den Arm mit dem Degen hoch. »Gebt Feuer!«
    Die Degen sausten herab und verharrten still mit der Spitze auf der Erde.
    Dann wiederholte sich das gleiche Kommando für das zweite Glied, während das erste hastig nachlud.
    Allein, die Salve hatte die Kamelreiter kaum zum Stocken gebracht. Wohl fielen Dutzende von Kamelen und begruben ihre Reiter unter sich. Aber die nächsten Wellen stürmten über sie hinweg.
    Die zweite Salve krachte. Die dritte folgte, in viel zu kurzem Abstand. Das erste Glied hatte wieder geladen.
    Doch da stürzte sich die entfesselte Hölle bereits über die Soldaten.
    Die Hornrufe schmetterten zum Sammeln in Karrees.
    Von der Verteidigungslinie zum Karree, das heißt: Rückzug.
    Immer wieder stieß die Kavallerie in die zurückflutenden Soldaten. Immer schneller wurde ihr Schritt. Einige der formierten Haufen lösten sich bereits auf und stürmten in wilder Flucht dorthin, wo die Schiffe lagen. An die Verwundeten dachte niemand. Sie wurden ihrem Schicksal überlassen. In regellosen Haufen erreichte man die Boote. Gewehre flogen zur Erde. Die Artillerie, die gar nicht mehr zum Einsatz gekommen war, wurde zurückgelassen. Rund zehntausend Mann der Expeditionsarmee kämpften noch an der Küste, um den anderen das Übersetzen zu ermöglichen.
    Nach und nach aber wurden sie von den wilden Schwärmen der Janitscharen niedergeritten. Sie warfen ebenfalls die Waffen und Helme weg und versuchten, sich schwimmend zu retten. Karl III. hatte die Schlacht gegen den Daj von Algier verloren.
    Unter Zurücklassung aller Geschütze und vieler Verwundeter schiffte er sich mit seinem Expeditionskorps ein.
    Wilder Jubel herrschte unter den Janitscharen. Die Augen Baba Alis, des Fürsten von Al-Dschesair, glühten fanatisch. Er hatte dem verfluchten Spanier eine Lehre erteilt, die ihm sicherlich noch lange im Gedächtnis bleiben würde. Die Fahne des Propheten wehte wieder über Sidi-Mes.

12
    Isolde Hawbury lag völlig geistesabwesend in ihrem Verlies unter dem Palast des Daj in Algier. Sie spürte kaum noch die Ketten um Hand- und Fußgelenke; siestarrte zur Decke empor und bewegte murmelnd die Lippen.
    Fast sieben Monate waren seit ihrer Flucht und ihrer Wiederergreifung vergangen. Und seitdem hatte sie kein Lebenszeichen mehr von Michel

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