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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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zum Halten gab. Er wandte sich im Sattel um und sagte:
    »Amigos, es ist fast ein Wunder zu nennen, daß wir uns lebend bis hierher durchgeschlagen haben. Die Gefahren, die hinter uns liegen, waren kaum zu überbieten. Aber wir haben es trotz unzulänglicher Nahrung und trotz schlechter Pferde geschafft. Jetzt gilt es zu entscheiden, wie wir weiter handeln wollen. Steves Schwester muß gerettet werden. Darüber sind wir uns doch wohl alle einig, nicht wahr?«
    »Eine ziemlich unnötige Frage«, warf Steve unhöflich ein. »Entwickelt doch endlich Euern Plan. Deshalb brauchen wir hier nicht die Zeit zu vertrödeln.«
    Seine Ungeduld war begreiflich. Es handelte sich ja um seine eigene Schwester, und deshalb nahm ihm auch niemand seine Ungezogenheiten übel.
    »Bien, Madonna y Senores«, ergriff Michel Baum das Wort. »Soweit wären wir also. Jetzt möchte ich fragen: Wer reitet mit mir in die Stadt? — und wer schlägt den Weg zum Ankerplatz des Schiffes ein und bereitet dort alles zu einem sofortigen Auslaufen vor, falls es brenzlich wird und wir aus der Stadt flüchten müßten? Drei, höchstens vier genügen, um Steves Schwester herauszuholen. Mehr würden unnötig Aufsehen erregen. Ich schlage vor, daß nur Ihr, Steve, und du, Ojo, mit mir reitet. Die anderen schließen sich der Führung Marinas an und suchen den Ankerplatz der »Trueno« auf. Dort könnt ihr in etwa drei Tagen ankommen. Die Wege hier an der Küste sind nicht so schlecht wie im Gebirge.«
    Es herrschte Schweigen. Jardin, der Kleine, fühlte sich zwar etwas zurückgesetzt, aber der lange Fluchtweg hatte ihn sehr geschwächt. Mehr als einmal hatte er die Flinte ins Korn geworfen und wäre liegen geblieben, wenn sich nicht Ojo oder Michel seiner angenommen hätten. Deswegen fügte er sich jetzt ohne Murren.
    »Seid Ihr sicher, daß Ihr die »Trueno« finden werdet?« fragte Marina. Ihre Augen leuchteten Michel entgegen; denn dieser hatte sich während der ganzen Reise wie ein caballero gegen sie benommen. Nicht ein häßliches Wort war mehr über seine Lippen gekommen, über die Lippen, deren Druck sie allerdings nur ein einzigesmal, an jenem Abend, gleich nach Beginn der beschwerlichen Fahrt, auf den ihren gespürt hatte.
    Ihre Liebe zu ihm wuchs jedoch mit jedem Tag ihres Zusammenseins. Und sie war fest davon überzeugt, daß sie Michel über kurz oder lang ganz für sich gewonnen haben würde. Michel nickte ihr höflich zu und meinte:
    »Gewiß, Madonna, wir werden den Weg finden. Ihr habt ihn mir so genau beschrieben, daß ich ihn unmöglich verfehlen kann.«
    »Bueno, so werden wir reiten, Senores. Wir wollen hoffen, unsere Freunde recht bald wohlbehalten wiederzusehen. Abu Hanufa und sein Steuermann, Ibn Kuteiba, sind von mir angeheuert. Sie können auf der »Trueno« bleiben, solange sie wollen. Hasta la vista, Miguel. Folgt mir, Senores.«
    Sie wandte ihr Pferd und strebte einem nach Nordost führenden Gebirgspfad zu.
    Michel war im stillen dankbar für ihre entschlossene Art.
    »Eine fabelhafte Frau«, murmelte Steve Hawbury und sah ihr bewundernd nach.
    Michel lächelte. Steve war zweifelsohne ein junger Hitzkopf und bis über beide Ohren in die Gräfin verliebt.
    »All right«, meinte Michel, »reiten wir los. Ich möchte Eure Schwester möglichst noch heute befreien, spätestens jedoch morgen nach Sonnenuntergang.«

14
    Jubel herrschte in Algier. Kinder und Greise bevölkerten die Straßen. Kaufleute warfen in ihrer Begeisterung händeweise Datteln und Zuckerfeigen in die Menge. Händler, Gaukler und Märchenerzähler traf man gleich scharenweise in der Stadt.
    Vom Westen her näherte sich der riesige Zug von Kamelreitern, Kavallerie und Fußvolk. Die Janitscharen-kapellen spielten ihre kriegerische Musik. Dazwischen schallten mißtönige Hornrufe, die von arabischen Kriegern auf erbeuteten spanischen Hörnern geblasen wurden. Das Getöse innerhalb und außerhalb der Stadt schwoll von Minute zu Minute an. Es drang bis in den Kerker unter dem Palast. Und Isolde Hawbury wußte, daß dieser Lärm ihr Schicksal besiegelte.
    Der Daj kehrte mit seiner siegreichen Armee von dem großen Feldzug im November des Jahres 1775 zurück.
    Isolde faltete die gefesselten Hände und betete ein inbrünstiges Vaterunser. » — Dein Wille geschehe; denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.«
    Immer wieder murmelte sie diese Worte. Aber der Trost wollte nicht kommen. Ihre Gedanken schweiften ab. Doch immer wieder fan-den

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