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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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Baum und seinen Gefährten erhalten. Ob sie überhaupt noch am Leben waren — ?
    Anfangs hatte sich das Mädchen innerlich gegen die Sklavenketten aufgebäumt, hatte den Wächter beschimpft, der ihr das kärgliche Essen brachte, hatte sich über die schmutzigen Krüge beschwert, aus denen sie mit fauligem Trinkwasser ihren Durst stillen sollte. Es hatte nichts genützt. Isolde trug noch immer die Überreste der Janitscharenuniform, in der sie den Fluchtversuch unternommen hatte. Ihr Lager bestand aus verdorbenem Stroh, und rings um sie herrschte ein durchdringender Gestank, den sie schon nicht mehr wahrnahm. Hin und wieder überfielen sie wohl die Gedanken an die Heimat, an London, an den Vater und an jene schönen Tage, die sie mit ihm beim Sultan von Marokko in Fes verbracht hatte. Und dann kam jener schreckliche Abend, an dem sie sich plötzlich in der Nähe eines Basars von kräftigen Fäusten gepackt fühlte. Als sie ihr Bewußtsein wiedererlangt hatte, lag sie in einer Sänfte, die zwischen zwei Kamelen hing und sanft schaukelte. Ein Blick durch die Vorhänge verriet ihr, daß es Nacht war. Beim Anblick des hellen Schimmers der Dünen, auf denen sich das Mondlicht brach, wurde ihr klar, daß sie sich in der offenen Wüste befand. Die Mädchenhändler des Orients waren klug genug, nicht die belebten Straßen zu wählen und, solange es irgendwie ging, den Weg durch die Wüste zu bevorzugen. Isolde Hawbury war keine von den verzärtelten Puppen der europäischen Gesellschaft, die unfähig waren, sich gegen irgend etwas aufzulehnen. Ihr Vater, General im Kolonialamt, hatte frühzeitig darauf gedrungen, daß seine Kinder durch die harte Schule des britischen Koloniallebens gingen. Reiten, Schießen und Ausdauer waren die hervorstechenden Merkmale einer solchen Erziehung. Hinzu kam die Schulung in Sprachen, wie sie für den Dienst in den Besitzungen und Dominions des Empire unerläßlich war.
    Dreimal hatte Isolde versucht, ihren Peinigern des Nachts zu entwischen. Einmal war sie gelaufen, bis sie mitten in der Wüste zusammenbrach. Der Mädchenhändler grinste, als man sie wiederbrachte, schien aber die Lust verloren zu haben, sie bis in die Türkei oder noch weiter mitzunehmen. So ließ er sie, als die Karawane einen Abstecher nach Algier machte, dem dortigen Daj zu einem billigen Preise als Sklavin.
    Dann kam die Haremszeit. Aber sie hatte großes Glück; denn Baba Ali heiratete sie nicht. Er machte sie nicht zu einer seiner zahlreichen Frauen, sondern ließ sie nur tanzen. Da er ihre Kenntnisse schätzte, eroberte sie sich bald eine gewisse Vertrauensstellung bei ihm. So blieb sie unangetastet und entging dem Los, das so viele andere weiße Frauen vor ihr in der gleichen Situation geteilt hatten.
    Dann kam die Flucht. Und die Wiederergreifung. Aber der Daj war bereits mit seinen Truppen unterwegs, um die Spanier aus dem Land zu werfen; und da sie dem Daj persönlich gehörte, hatte nur er das Recht, sie zu richten. So wartete sie nun auf seine Wiederkehr. Nach ihrer Schätzung mußte es bereits November sein; denn oft schlug der Regen stundenlang gegen die winzige, schmutzige Scheibe, die ihr Kellerloch von der Außenwelt trennte.
    Würde Baba Ali ihr den Genickschlag versetzen? Würde er es fertigbringen, ihr den Kopf abzuschlagen? Oder würde er sie jetzt in seinen Harem zwingen?
    Isolde stöhnte auf unter der Last ihrer Ketten. Mühsam veränderte sie ihre Lage. Die Glieder schmerzten fürchterlich.
    Ein Schlüssel drehte sich im Türschloß.
    Isolde sammelte sich. Eine fiebrige Spannung ergriff Besitz von ihr. Sonst pflegte der Wächter Essen und Wasserkrug oben durch die kleine Klappe zu schieben. Es war das erstemal, daß jemand die Tür öffnete. Das konnte nur bedeuten, daß Baba Ali von seinem Feldzug zurückgekehrt war.
    Sie begann plötzlich zu zittern. Ihre Augen weiteten sich. Mit starrem Blick hafteten sie auf der Tür, die jetzt quietschend zurückschwang. Ein kurzer Schrei entfloh ihren Lippen. Der Eintretende war Hussejn, der Wesir und Leibdiener des Daj.
    »Salam«, verneigte er sich spöttisch. Ein Flimmern lag in seinen schwarzen Augen. »Wie geht es der Dame aus dem mächtigen England? Fühlst du dich wohl? Bei Allah, du solltest stolz darauf sein, einst so großen Einfluß auf den Daj gehabt zu haben. Ist er doch ein siegreicher Feldherr und ein großer Fürst, der soeben die Spanier vernichtend aufs Haupt geschlagen hat. Allah ist mächtig, und wer an ihn glaubt und dem Propheten gehorcht,

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