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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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sich die Hände zu neuem Gebet. Sie würde im Angesicht des Halbmonds sterben müssen. Das abendländische Symbol des Kreuzes war fern — so fern ...
    Sie schrak auf. Was war das? Pochte nicht jemand an die Fensterscheibe? Wahrhaftig. In diesem Augenblick klirrte es über ihrem Kopf. Eine Stimme rief leise: »Miss Hawbury? Seid Ihr es?«
    Isoldes Herz krampfte sich zusammen. Sie konnte nicht antworten. Mühsam rang sie nach Luft. Der Pulsschlag war so ungestüm, daß sie das Pochen bis zum Hals spürte. »Wir scheinen wieder verkehrt zu sein«, murmelte eine Stimme, »nun haben wir schon sechs Scheiben eingedrückt, und doch ist sie nirgends. Von dieser Seite können wir also nicht herankommen. — Los, machen wir, daß wir fortkommen.«
    Da — da — endlich war das Würgen aus ihrem Hals verschwunden. Mit Entsetzen vernahm sie, daß sich die beiden oben wieder entfernen wollten, um sie woanders zu suchen.
    Ein Schrei kam über ihre Lippen. Im letzten Augenblick hatte sie die Schwäche überwunden.
    »Hallo!« rief verhalten eine Männerstimme, »Miss Hawbury — seid Ihr da unten?«
    »Ja — ja. Ich konnte nur keinen Ton herausbringen vor Überraschung. Sagt, wer seid Ihr?«
    »Michel Baum. Ihr werdet mich doch noch kennen?«
    »O Gott, ich danke Dir! — Aber ich kann nicht durch das Fenster kriechen; denn es ist viel zu schmal, um einen Menschen hindurchzulassen; außerdem bin ich an Armen und Beinen gefesselt.«
    »Keine Angst«, erwiderte der Sprecher. »Wir holen Euch in den nächsten Stunden heraus. Wir mußten nur erst einmal feststellen, wo Ihr Euch befindet. Das war nicht so einfach. Hoffentlich bemerkt man die anderen eingeschlagenen Scheiben nicht zu früh. Habt noch eine Weile Geduld. Bis später.«
    Isolde sank auf ihren schmutzigen Strohhaufen zurück. Ihr Herz hämmerte. Es drohte bei jedem weiteren Schlag zu zerspringen. Hoffentlich kamen sie zur Zeit! Hoffentlich schafften sie es noch! Sie hatte keinen anderen Gedanken.
    Vielleicht holte man sie noch vor der Zeit ab? Vielleicht war alle Mühe der Männer vergebens?
    — O Gott — o Gott! - Hilf mir doch!
    Sie zitterte am ganzen Leibe. Der Schweiß trat ihr aus allen Poren. Schüttelfrost packte sie. Nach einer Stunde etwa ging die Tür auf. Voller Hoffnung ruhten ihre Blicke auf der eintretenden Gestalt.
    Da entrang sich ein Schrei höchster Verzweiflung ihren Lippen. Der Ankömmling war Hussejn, der Wesir. Sie wußte, daß er sie jetzt zum Daj führen würde. Und dann kam der gräßliche Augenblick. Dann kam der Schlag in den Nacken — und dann kam — »Nun? Du räudige Hündin, du verfluchte Christensau, jetzt ist es soweit. Gleich werden die Wächter kommen und dich vor den Daj bringen. Dann wird man dir zeigen, wie man mit ungetreuen Sklaven in Al-Dschesair umgeht.«
    Seine Augen loderten vor Wut; denn er dachte an sein Gespräch mit dem Daj nach dessen Rückkehr. Der Fürst hatte ihn nach den Sklaven gefragt. Und als der Wesir schilderte, was geschehen war, hatte ihn sein Freund und Herr angeschrien und in die Dschehenna gewünscht. Erst als Hussejn berichtete, daß er wenigstens die Hauptmissetäterin gefangen hatte, beruhigte sich Baba Ali etwas.
    Er fragte allerdings mit nicht geringem Spott, was er mit der Hauptschuldigen beginnen solle, wenn diejenigen, denen er den Bau der Gewehre übertragen habe, endgültig entkommen wären. Darauf wußte Hussejn nichts zu sagen. Er stürmte in das Verlies, um seine Wut über die, wie er meinte, ungerechtfertigten Vorwürfe an dem wehrlosen Mädchen auszulassen. Der Daj hatte keineswegs befohlen, die Sklavin bereits jetzt zur Hinrichtung zu bringen. Ganz im Gegenteil, er erwog in Gedanken bereits, wie man das weiße Mädchen wieder in Dienst nehmen könnte. Isidolada, so nannte Baba Ali sie, weil er ihren Namen nicht richtig auszusprechen vermochte, hatte ihm wertvolles Wissen über das Abendland vermittelt, so daß er auch nicht einen Augenblick daran dachte, sie hinzurichten. Baba Ali haßte zwar die Europäer, soweit sie als Feinde in sein Land kamen, er war aber viel zu klug, um ihre Fortschrittlichkeit nicht anzuerkennen. Sein geheimstes Bestreben war, die Verhältnisse in Algier langsam den europäischen anzugleichen.
    Der Daj kannte zwar den Koran in- und auswendig wie kaum ein anderer. Aber ihm war es ziemlich gleichgültig, was für Seligkeiten der Prophet nach dem Tode versprach. Sein Ziel war es, den Widerstand der Alten, Unbelehrbaren, Unduldsamen langsam zu brechen. Die Truppen

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