Kerker und Ketten
standen hinter ihm. Er würde den eingefleischten Muslimun den Fortschritt eben aufzwingen, wenn es nicht anders ging. Eines jedoch wußte der Daj nicht, nämlich daß sein Vertrauter und Freund, Hussejn, zu jenen unbelehrbaren Dogmatikern zählte, für die es nur Mohammed gab und sonst nichts auf der Welt...
»So«, sagte Hussejn zu der zitternden Isolde, »jetzt werde ich die Wächter rufen. Dann wird dein Kopf abgesägt, schön langsam« — er schien sich an diesem Gedanken geradezu zu berauschen
— »vielleicht fangen wir auch mit den Händen an, damit du nicht so schnell stirbst.« Er ging hinaus und rief die Wächter.
Zwei Männer kamen und blieben in der Tür stehen.
»Packt sie, die Unverschleierte, die mit frechem Gesicht jedem Mann ihre Züge zeigt, obwohl der Prophet befohlen hat, daß eine Frau einen Schleier tragen muß.«
Die Männer schienen ihn nicht richtig verstanden zu haben; denn sie rührten sich nicht von der Stelle.
»Was steht ihr da herum, ihr Faulpelze, ihr Hundesöhne, ihr Bastarde! Ich werde euch die Kurbatsch zu schmecken geben, ihr verfluchten Lumpen!«
Der eine der Wächter trat jetzt vor, wandte sich aber dem Wesir zu und nicht der Gefangenen. Hussejn starrte ihn verwundert an. Sein Gesicht war dunkelrot vor Zorn. Er hob die Hand und wollte unbeherrscht nach dem Mann schlagen. Dieser aber war schneller. Er griff nach der Hand, hielt sie fest, holte aus und gab dem Wesir ein paar schallende Ohrfeigen. Dann boxte er ihn in eine Ecke, bis er auf die feuchten Steine niedersank. Ehe er sich's versehen hatte, war er geknebelt.
Der andere machte sich daran, die staunende Isolde von ihren Fesseln zu befreien. »Steht auf, Miss Hawbury! Könnt Ihr gehen?« »Mr. Baum?!« schrie sie mit freudigem Schreck.
»Wir haben jetzt keine Zeit zu Unterhaltungen. Unser dritter Mann steht draußen vor dem Verlieseingang und hält die Wächter in Schach. Kommt schnell!«
»Soll ich ihn fesseln, Senor Doktor?« fragte Ojo auf spanisch und zeigte auf den Wesir.
»Ja, leg ihn in Ketten, so fest, daß seine Leute Mühe haben, ihn wieder freizubekommen.«
Ojo ließ sich das nicht zweimal sagen. Mit grimmiger Miene faßte er den Wesir, hob ihn wie ein Kind auf die Arme, schaffte ihn dorthin, wo soeben noch das wehrlose Mädchen gelegen hatte, und befestigte die schweren Eisenringe um seine Handgelenke.
Hussejn atmete schwer. Seine Adern schwollen an. Er bäumte sich auf in ohnmächtiger Wut; aber es nützte ihm nichts. Die Eisenketten hielten, und der Knebel ließ ihm kaum genügend Luft zum Atmen. Wie glühende Dolche stachen seine Augen hinter den Flüchtenden her. Er leistete den erbittertsten Schwur seines Lebens.
Die Zellentür wurde zugeschlagen. Der Schlüssel drehte sich im Schloß. Hussejn, der Haßerfüllte, war gefangen.
Und draußen feierte man das größte Siegesfest, solange er denken konnte. Vielleicht würde es Stunden dauern, bis man ihn hier unten fand. —
15
»Hier an den Zellen vorbei«, flüsterte Michel der noch immer benommenen Isolde zu. Bei den Zellentüren bogen sie um eine Gang-Ecke und standen dann vor der Tür, die ins Freie führte. Wie bei ihrer ersten Flucht war die Straße hinter dem Palast, auf die der Gang führte, ruhig und still. Von fern drang der Lärm des Siegesfestes herüber.
Der Mann, der hier stand und das Gewehr drohend auf die Wächter gerichtet hielt, rührte sich nicht vom Fleck.
»Zieh ihnen die Burnusse aus, Ojo«, befahl Michel, »und nimm ihnen die Turbane ab, bevor du sie fesselst. Wir brauchen die Kleidungsstücke.«
Ojo tat, wie ihm geheißen.Michel reichte je eins der Kleidungsstücke Isolde und dem dritten Helfer, der bisher noch kein Wort gesprochen hatte.
»Zieht Euch die schmutzigen Gewänder über und macht, daß Ihr aus der Stadt kommt. Wenn die Verfolgung beginnt, müßt Ihr unbedingt in Sicherheit sein.«
Der Mann nickte. Das Mädchen gehorchte schweigend dem Gebot.
»Wir treffen uns an der Spitze der Bucht von Matifu, wie besprochen. Von dort aus reiten wir weiter. Geht jetzt. Schreitet ruhig dahin, daß Ihr nicht auffallt, bis Ihr, die Pferde erreicht. Kommt gut durch!«
Der Mann nahm das Mädchen am Arm und wandte sich zum Gehen. Aber sie hielt ihn zurück und sah zu Michel hin.
»Wollt Ihr noch etwas, Miss Hawbury?« fragte dieser. »Warum geht Ihr nicht mit, Mr. Baum?«
»Ihr wißt, wie sehr ich an meinem Gewehr hänge. Ich kann meine Aufgabe erst als erledigt betrachten, wenn ich es wiederhabe.« Isolde zauderte
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