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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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deutscher Übersetzung studiert, wie er überhaupt alle Religionen bis zu einer gewissen Grenze kannte. Aber weiter auch nicht. Zu einer Unterhaltung mit dem Daj aber gehörte, daß man mindestens ein halbes Dutzend Suren herunterleiern konnte. Abu Hanufa hatte ihm erzählt, daß der Daj ein Virtuose auf diesem Gebiet war.
    Aber Michel fühlte sich dennoch sicher.
    »Wir sind nicht gekommen, um mit dir über die Schriften Mohammeds zu sprechen, sondern um dich zu deinem glänzenden Sieg über die Spanier zu beglückwünschen.« »Aber ihr seid doch Hadschis. Jeder Hadschi liebt es, über den Koran zu sprechen. Wartet ein wenig. Ich rufe einen Diener. Der kann uns Kaffee bringen und den Wesir rufen. Auch er unterhält sich gern über den Koran.«
    Er zog an einer seidenen Schnur, die über dem Diwanhing. Die große Mitteltür öffnete sich, und
    ein Diener trat mit tiefen Verbeugungen näher.
    »Hussejn soll kommen! Und bring uns Kaffee und Tschibuks.«
    Michel überlegte, wie er sich am besten aus der Affäre ziehen konnte. Hussejn würde selbstverständlich nicht kommen, denn er lag sicherlich noch immer im Verlies.
    Der Diener brachte kurz darauf dampfenden Kaffee und vier Wasserpfeifen, die bereits qualmten.
    Michel zog sich, ohne aufgefordert zu sein, eine Ottomane heran und ließ sich bequem darauf nieder. Diaz Ojo folgte seinem Beispiel mit der größten Selbstverständlichkeit. Der Daj blickte sie erstaunt an. »Ihr seid sehr unhöflich.«
    »Wieso?« fragte Michel. »Du sitzt doch auch. Weshalb sollen wir da stehen?«
    Baba Ali fand offensichtlich nicht gleich eine Antwort. So unverschämt war ihm noch niemand gekommen.
    Ojo, der überhaupt keine Ahnung von den hierzulande herrschenden Sitten hatte, setzte den Kaffee an und trank die Tasse wie ein Landsknecht mit einem Zuge leer. Dann griff er nach der Pfeife und steckte das Schlauchende in den Mund.
    Michel tat es ihm nach. Sie befanden sich mehr oder weniger in einer verteufelten Lage. Es schadete also nichts, wenn sie sich daneben benahmen.
    »Du mußt wissen«, begann Michel auf den verdutzten Daj einzureden, »wir kommen gerade aus dem Abendland. Dort benimmt man sich so, wie wir es im Augenblick tun.« Der Daj horchte auf. Europa interessierte ihn immer.
    Seine Wißbegierde siegte über seinen Zorn. Aufmerksam blickte er Michel ins Gesicht. Aber der dichte Bart, der es umrahmte, machte seine Züge unkenntlich. »Wo wart ihr zuletzt?« fragte der Daj neugierig.
    »In Toledo, in den Waffenfabriken des spanischen Königs«, sagte Michel und beobachtete dabei die Wirkung seiner Worte.
    »Schejtan!« fuhr Baba Ali auf. »Könnt ihr mir nicht berichten, was es dort Neues gibt?« Michel blickte sich sichernd um, obwohl er wußte, daß weit und breit kein Mensch war. »Wir reisten im Auftrag des Sultans«, log er, »und können natürlich nicht alles ausplaudern, was wir gesehen haben.«
    »Ah«, sagte Baba Ali, und sein Gesicht glänzte vor Vergnügen. »Ich bin ein Freund der Pforte. Mir könnt ihr ruhig erzählen, was ihr gesehen habt.«
    Michel machte eine abschätzende Gebärde mit der Hand, als zögere er noch. »Gut denn, weil du uns so freundlich bewirtet hast. Wir haben ein neues Gewehr im Bau gesehen. Das wird den Sultan ganz besonders interessieren; denn es bedeutet eine Revolution in der Geschichte der Feuerwaffen.«
    »Nicht möglich«, rief der Daj und wurde sichtlich unruhig. »Wie sieht es aus?« »Möchtest du uns nicht erst noch einen Mokka bringen lassen? Wir sind so durstig und abgespannt.«
    »Ja, ja. Allah segne euern Appetit!«
    Er zog wieder an der Seidenschnur und schrie den eintretenden Diener an:
    »Bring Mokka, aber schnell! Und für jeden gleich zwei Tassen. — Los, beeil dich!«
    »Wir haben ein unglaubliches Gewehr gesehen«, nahm Michel wieder das Wort. »Es hatte viele Läufe, und mankonnte immerfort damit schießen. Eine unerhörte Waffe, sage ich dir.«
    Der Daj starrte ihn ungläubig an. Dann sprang er plötzlich auf und eilte zu einer Truhe, die an der gegenüberliegenden Wand stand. Er schloß sie auf und brachte — Michels Büchse zum Vorschein.
    »Sahen die Gewehre so aus wie dieses?« Michel streckte die Hand danach aus. Nur zögernd gab es der Daj her.
    Michel betrachtete es eingehend. »Hm«, meinte er dann nachdenklich.
    »Dieses hier scheint mir bereits ein veraltetes Modell zu sein.« Er legte es an, wie um das Zielen zu probieren.
    »Woher hast du es?« fragte er dann.
    »Ich kaufte es von einem Europäer«, log

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