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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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noch immer.
    »Kann —« fragte sie stockend, »kann — ich diesem Mann hier, der so schweigsam ist, wirklich vertrauen?«
    Michel lächelte.
    »Es gibt keinen, dem Ihr mit mehr gutem Grund vertrauen könnt als diesem jungen Mann, Miss Hawbury. Warum, das werdet Ihr erfahren, sobald Ihr in Sicherheit seid. Jetzt aber fort!« -
    Ojo und Michel wandten sich der Südseite des Palastes zu.
    »Wißt Ihr denn, wo Euer Gewehr aufbewahrt wird, Senor Doktor?«
    »Keine Ahnung. Ich weiß nur, daß ich es finden muß.
    Und da ich annehme, daß der Daj, oder vielmehr sein böser Geist, der Wesir, eitel genug ist, die Büchse als seine Eroberung herumzuzeigen, so schauen wir wohl am besten zuerst in den Gemächern der beiden nach.«
    Ojo nickte und schwieg. Er machte sich seine eigenen Gedanken. Ihm war es klar, daß die eigentliche Arbeit jetzt erst begann. An sich war das Unterfangen ein Wagnis ohnegleichen. Und es gehörte mehr als nur landläufiges Glück dazu, sich wieder in den Besitz der Villaverdieschen Sechslaufmuskete zu setzen.
    »Wenn du nicht die richtige Laune hast, Diaz, so bleibe zurück. Ich werde es dir bestimmt nicht übelnehmen. Hast schon viel für mich getan, treuer Kerl. Dieses Gewehr geht an sich nur mich an, und es ist eigentlich unverantwortlich von mir, dich einer Gefahr auszusetzen, in der wir beide umkommen können.«
    »Wollt Ihr mich beleidigen, Senor? Ich vertraue auf Gott.«
    Sie hatten die Südseite des Palastes erreicht. Durch das Prachttor strömten die Krieger ein und aus. Fackeln brannten jetzt; denn die kurze Dämmerung ging bereits in die Nacht über. Michel und Ojo ließen sich von der Menge in den Palast treiben. Sie hatten sich schon am Nachmittag saubere Burnusse und Turbane besorgt. Ojo war von jetzt an stumm wie ein Fisch. Wenn ihn jemand ansprach, machte er die Gebärde der Taubstummen und lächelte gewinnend. Auch Michel ließ sich nur ungern in ein Gespräch ziehen, denn man merkte seinem Arabisch noch Schwächen an, obwohl er die Sprache im Hinblick auf die wenigen Monate seines Studiums im Steinbruch geradezu vorzüglich erlernt hatte.
    Von Saal zu Saal gingen die beiden und hielten Umschau. Sie kannten sich ja gut hier aus.»Wir
    müssen versuchen, in die Privatgemächer des Daj vorzudringen«, flüsterte Michel leise. »Hier in diesem Trubel sind wir zwar sicher, aber wir finden das Gewehr nicht.«
    Sie gingen weiter. Doch plötzlich zog Michel seinen Begleiter hinter eine Balustrade.
    »Siehst du die Tür dort hinten, Diaz? Die müssen wir zu gewinnen suchen.«
    Sie schlenderten hinüber. Im Augenblick ließ sich niemand sehen. Ein Griff — die Tür war offen. Keine Wachen da.
    »Wir sind im Schlafsaal des Daj«, flüsterte Michel. Ojo fühlte sich recht unbehaglich.
    »Schejtan«, brummte plötzlich eine tiefe Stimme ungehalten. Sie kam — kein Zweifel — von dem großen, seidenbespannten Diwan.
    »Wer wagt es, meine Ruhe zu stören? Komm her, du Hund. Ich werde dir den Kopf abschlagen!«
    Ein dicker Kerl wurstelte sich aus den Seidenvorhängen heraus, die die Lagerstatt gegen zudringliche Blicke abschirmten. Es war Baba Ali persönlich.
    »Was wollt ihr?« fragte er wütend, »wer hat euch erlaubt, ungerufen bei mir einzudringen? Wißt ihr nicht, daß ein Held nach seiner Rückkehr vom Schlachtfeld viel Ruhe nötig hat, um sich zu erholen? Kommt her, kniet nieder. Ich werde euch den Kopf abschlagen.« Es schien ihm gar nicht in den Sinn zu kommen, daß es einen Menschen auf der Welt geben könnte, der sich einem solchen Befehl widersetzte. Die Fürsten der Araber waren gewöhnt, über sklavisch gehorsame Untergebene zu herrschen, mit denen sie tun konnten, was sie wollten. Michel trat gemütlich näher.
    »Sei nicht so rabiat, du großer Held«, sagte er in ruhigem Ton. »Siehst du nicht, daß du die Ehre hast, zwei Hadschis zu begrüßen, die ihre Weltreise unterbrochen haben, eigens um dich zu sehen? Hörst du nicht an meinem Dialekt, daß ich aus fernen Gegenden stamme? Gewähre uns deine Gastfreundschaft, und wir bringen dir Allahs Segen.«
    Der Daj machte ein ziemlich einfältiges Gesicht. Dennoch steckte er den Krummsäbel, den er bereits gezogen hatte, wieder in die Scheide und meinte:
    »Seid willkommen, ehrwürdige Hadschis. Ich sehe, daß euch der Prophet mit seiner besonderen Gnade beschenkt hat. Sprechen wir ein wenig über den Koran. Vielleicht könnt ihr mir einige neue Auslegungen vermitteln.«
    Michel verzog das Gesicht. Er hatte zwar den Koran in

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