Kerker und Ketten
müssen einen Trick anwenden. Er ist nicht schön; aber wir werden unser Leben nicht um eines Schönheitsfehlers willen aufs Spiel setzen. Komm!«
Während sie dahinschuchen, bearbeitete Michel den Säbelknauf des Daj. Es gelang ihm, ein paar Diamanten daraus zu entfernen. Genügend, um drei Pferde damit zu bezahlen. Weiter gingen sie. Im Judenviertel endete die Spur. Die meisten Basare hatten noch Licht. Obwohl es den Juden verboten war zu handeln, hielten sie sich doch nicht daran; denn schließlich mußten sie ja leben. Und der Daj sorgte nicht für sie. Sie waren Menschen zweiter Klasse und noch mehr verhaßt als die Christen.
Michel stand plötzlich vor einem der Kaftanträger, dessen Gesicht erbleichte. »Gnade«, winselte der alte Mann, »Gnade, Sayd, wir haben die Gebote unseres weisen Herrschers allzeit gehalten. Verschone uns, Herr, ich habe eine unmündige Tochter zu ernähren, und meine Frau ist krank.« »Schweig, Ibrahim«, sagte Michel, wobei er sich des Lächelns kaum erwehren konnte. Der Alte sank auf die Knie.»Du hast die beiden Flüchtlinge versteckt, Ibrahim, stimmt es? Antworte!«
Alles Blut wich aus den Wangen des Geängstigten. Er ahnte nicht einmal, daß irgendwo zwei Menschen entflohen waren. Aber er kannte die Janitscharen gut genug, um zu wissen, daß sie kurzen Prozeß machen würden, wenn ihnen der Spaß an der Unterhaltung verging. Das Leben eines Kaftanträgers, der den Propheten nicht ehrte, galt nicht viel. Und Michel trug ja noch immer die Uniform der Janitscharen.
»Wir müssen deine Hütte untersuchen, Ibrahim«, fuhr er fort. »Wenn wir nichts finden, tun wir dir nichts.«
»Herr meines Lebens, es ist niemand hier außer meiner Tochter. Verschont mich. Ich bin ein armer Mann.«
Michel tat der alte Mann leid. Aber hier ging es um sein eigenes Leben. Und außerdem hatte er nicht die Absicht, dem ängstlichen Alten das geringste Leid an-zutun.
Er trat mit grimmiger Miene in eines der Hinterzimmer, das für arabische Verhältnisse erstaunlich sauber war. Dort lagen in einem ärmlichen Bett Frau und Tochter des Kaftanträgers.
Die Mutter, ein runzeliges Weibchen, stöhnte furchtbar. Sie mußte sehr krank sein.
Das Mädchen stieß einen erschreckten Schrei aus.
Michel sah dort an der Wand hängen, was er brauchte.
»Nimm die Dinger da, Diaz«, flüsterte er Ojo auf spanisch zu, so daß der Jude nicht verstehen konnte. Laut sagte er: »Ibrahim, diese Kleidungsstücke gehören den Entflohenen. Wo hast du sie her?«
Der Alte erhob ein lautes Wehgeschrei. Hoch und heilig beteuerte er, daß diese Sachen seit Jahr und Tag in seiner Wohnung hingen, und daß er immer auf einen Käufer gewartet habe. »Geh hinaus! Warte draußen auf mich, Diaz, und paß auf, daß wir nicht überrascht werden«, flüsterte er seinem Begleiter zu.
Diaz nahm die Sachen an sich und verließ wort- und grußlos das Haus, das bei aller Sauberkeit wahrlich eher einem Schuppen glich als einer menschlichen Behausung, Der Jude wagte nicht zu widersprechen. Aber er konnte nicht verhindern, daß ihm Tränen die Wangen hinabrollten; denn er hatte nichts zu verschenken.
Michel trat an das Bett, in dem die Frau lag.
»Was hat sie?« fragte er.
»Ich weiß es nicht«, jammerte der Alte, »ihre Backe wird immer dicker und dicker. Das ganze Gesicht ist schon geschwollen.«
Michel beugte sich über die Frau. Ein kurzer Blick genügte ihm. Die Frau hatte Ziegenpeter. »Steh auf, Mädchen«, sagte er zu der Tochter des Juden, einem entzückenden, schwarzlockigen Kind von vielleicht elf Jahren, »wenn du dort liegen bleibst, wirst du dich anstecken. Du mußt dich vor dem Atem deiner Mutter hüten. Er enthält Bazillen.« Der Alte schaute ihn erstaunt an. »Bist du ein Hekim, Sayd?«
»Ja«, sagte Michel, »das auch. Aber nur nebenbei. Hör gut zu. Du mußt Öl warm machen und einen Strumpf oder ein Stück Kattun damit tränken, das lege deiner Frau auf die Beule. Damit geht die Geschwulst in einigen Tagen zurück. Wenn du nicht sorgfältig bist, dann verhärtet sie sich, und die Beule bleibt. Laß deine Tochter nicht in die Nähe deiner Frau.« Der Alte hatte die Scheu verloren, obwohl ihn der Verlust des Burnus und der beiden Turbane noch immer schmerzte. Nun machte er aber ein klägliches Gesicht.»Sayd«, sagte er, »deine
Weisheit mag groß sein. Aber woher sollen wir das Öl nehmen? Wir können es nicht kaufen, obwohl uns die Oliven fast in den Mund wachsen. Wenn wir je einen Tropfen von dem kostbaren Zeug
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