Kerrion 3 - Traumwelt
in Gedanken mit Britta beschäftigte. Wer die Untreue nicht kennt, vermag auch ihre ersten Anzeichen nicht wahrzunehmen. Er meinte sich keinen Fingerbreit von der neben ihm im Mondstrahl schlummernden, vom weißen Mondlicht gestreichelten und mit dem nackten Körper selbst in einen Mond verwandelten Ina, die schwach zu leuchten schien, zu entfernen, während er sich den Gedanken an Britta überließ. Dieses Mädchen hatte sich ihm heute abend so nachdrücklich und ungeschützt sichtbar gemacht, wie es nur eine Schauspielerin konnte, der es aus den Gesetzen ihrer Profession heraus verboten war, sich vor dem Publikum zu schonen. Freiwillig unsympathisch sein, war das nicht etwas sehr Tapferes?
Aber wußte Wittekind mit seinem schläfrigen Sarkasmus solche Tapferkeit überhaupt zu würdigen?
Es war so heiß, daß das Liegen Unbehagen bereitete. Er stand auf, um in der Küche Durchzug zu machen und sich an das offene Fenster zu stellen. Die Lähmung der hohen Temperatur hatte sieh inzwischen auf die ganze Stadt gelegt. Selbst in der heruntergekühlten Bank ließ das Arbeitstempo nach. Die Leute kamen von einer heißen Nacht zermürbt und schweißgebadet ins Büro und spürten in sich die verbotene Sehnsucht nach einer langen Siesta. Viele nahmen Urlaub, und das behinderte die täglichen Vollzüge wohltuend. Hans holte eine Flasche gekühltes Mineralwasser aus dem Eisschrank, aber das war auf einmal zu kalt und schmerzte an den Zähnen und im Magen, auch hier war keine Erleichterung in Sicht.
Auf dem Fensterbrett stand das Glas voller Münzen, Herrn Siegers Reiseandenken, wie Hans jetzt wußte. Er setzte sich an den Küchentisch und leerte die angelaufenen Münzen aus. Wie Spielmarken rollten sie auf die Platte. Dazu könnte man sie vielleicht verwenden, dachte Hans, vielleicht fangen wir im Winter ja wieder das Kartenspielen an - gewiß nicht mit den Wittekinds, fügte er dann mit leichtem Bedauern hinzu, die spielten bestimmt nicht Karten. Darin bestand nämlich der eigentliche Vorbehalt Frau von Kleins gegen Intellektuelle: daß sie keine Karten spielten. Erst wenn man aufs Kartenspiel verzichtete, tat sich die Bedrohung durch das Gespräch ja auf.
Wie Sieger vor Ina nahm er sich jetzt die einzelnen Münzen vor. Es war auffällig, wie sehr die Fähigkeit der Medailleure mit den Jahrzehnten abgenommen hatte, das Rund einer Münze mit einem guten Relief zu füllen. Die besten Leute schienen noch in England zu arbeiten, auch die Nordamerikaner machten gute Reliefs, sie gruben die Münze regelrecht aus und ließen den Kopf in der Mitte schön plastisch stehen, aber das waren alte Entwürfe, erstaunlich, wie konservativ man in Nordamerika mit solchen öffentlichen Dokumenten war, in Europa wurde unablässig entworfen und geändert, als bleibe sonst die Uhr stehen. Hans sortierte die Münzen und baute Türmchen aus Pence und Peseten. »Dei gratia regina« und »Por la gracia de Dios Caudillo« wuchsen nebeneinander in die Höhe.
Aber was war das? In dem Haufen blinder Geldstücke funkelte es unversehens rotgolden. Ein Ehering, ein schmaler, innen mit verwischten Initialen und unlesbarem Datum gezeichneter Reif. Herr Sieger war schon ein seltener Patron. Gut versteckt war das schicksalsträchtige Ringlein gewesen. Wer sich nicht über das Glas und seinen Inhalt hermachte -und welcher vernünftige Mensch tat das schon -, der würde ihn nicht finden. Offenbar hatte Herr Sieger selbst vergessen, was er hier aufbewahrte. Oder lag in diesem auffälligen Verstreuen seines Eigentums eine Absicht? Oder hatte der letzte Mieter den Ring hier vergessen? War in dieser Wohnung gar eine Ehe auseinandergegangen? Hatte sich ein Mann oder eine Frau geweigert, den Ring zurückzunehmen? Hatte man sich beim Zerbrechen einer Ehe gewehrt, sie wie eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts abzuwickeln? Hatte vielleicht jemand geglaubt, daß seine Ehe, solange der Ring auf Wanderschaft war, irgendwie fortbestand? Müßte man bei einer Scheidung die Eheringe nicht eigentlich zerschlagen und zerschmelzen?
Er füllte die Münzen wieder in das Glas und legte den Ring hinein, als es halbvoll war. Den Rest der Münzen ließ er aus der hohlen Hand darüber rieseln. Jetzt war der Ring wieder gut begraben.
Es war halb drei. Die Nacht dauerte noch lang. Er ging in das dunkle Wohnzimmer, öffnete alle Fenster und legte sich auf das Sopha. Wirklich erreichte ihn ein linder Hauch. Es gelang ihm, an gar nichts zu denken. Er sah mit offenen Augen ins Dunkel,
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