Kerstin Dirks & Sandra Henke - Vampirloge Condannato - 01
Tammy zuckte zusammen. Es raschelte im Unterholz oder bildete sie sich das nur ein? Sie konnte es kaum erwarten im Zug zu sitzen mit all den Lichtern, Durchsagen und Menschen, die zustiegen, je näher die Bahn Central London kam. Als sie endlich den Marble Hill Park hinter sich ließen, atmete Tamara auf. Sie rutschte tiefer in den Ledersitz und wollte sich nicht noch einmal umschauen. Vampire. Im Wald hätten die Blutsauger die Möglichkeit gehabt, ungesehen über Marcus und sie herzufallen und sie bis auf den letzten Blutstropfen auszusaugen. Nun hatten die Vampire ihre Chance vertan. Doch als Marcus sein Coupé auf die St. Margarets Road lenkte und an einer kleinen Ansammlung von Häusern vorbeifuhr, ging plötzlich Licht in einem der Häuser an, just in dem Augenblick, als sie es passierten. Tammy krallte ihre Finger um die lederne Sitzschale. Hatte Dorian sein nächstes Opfer gefunden? Folgte er ihnen? Sie überlegte, ob sie Marcus doch bitten sollte anzuhalten, um das Verdeck zu schließen, brachte aber keinen Ton heraus. Sicherlich spielte die Phantasie ihr einen Streich! Das war alles zu absurd, um wirklich zu geschehen. Aber hatte Marcus nicht gesagt, er wäre ein Vampir-Anwärter der „Loge Condannato“? Sie war also nicht die Einzige, die an Vampire glaubte, die von ihnen wusste, also mussten Blutsauger existieren. Und hatte Dorian ihr seine Überlegenheit nicht vor ein paar Minuten erst gezeigt, ohne ein einziges Wort zu sprechen und ohne die kleinste Berührung, alleine durch seine Willenskraft? Dieser Mann machte Tammy wahnsinnig! Er war der Erste, der solch starke Gefühle in ihr heraufbeschwor, doch ausgerechnet er wollte ihr nichts Gutes und sie musste sich von ihm fern halten. Welche Ironie! Besonders, da sie ihm in nächster Zeit ständig über den Weg laufen würde, weil er mit ihrem Vater zusammenarbeitete. Nein, mit George Malt würde sie nicht reden können! Zu verbissen verfolgte er seinen Plan, weitere Gourmet Tempel in Großbritannien aufzubauen. Und wer würde nicht laut auflachen bei dem Wort „Vampire“? Der anonyme
68
Sandra Henke & Kerstin Dirks Begierde des Blutes
Brief, von dem sie ahnte, dass Dorian ihn heimlich in ihre Mailbox gesteckt hatte, hatte sie geimpft, sodass sie Schritt für Schritt an das Thema herangeführt wurde, ohne es als kompletten Unsinn abzutun. Dorian hatte seinen Auftritt gut geplant, aber Tammy wollte ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Sie würde mit den Waffen einer Frau kämpfen. Bei ihrem ersten Treffen hatte er sie dazu aufgefordert. Nun wollte sie dieser Aufforderung nachkommen. Auch wenn der erste Versuch kläglich gescheitert war, beim nächsten Mal würde sie nicht so halbherzig rangehen.
Es war kurz vor 22 Uhr, als sie vom Bahnhof St. Margarets mit der British Railway in die City startete. Die Fahrgäste, die bereits im Zug saßen, beäugten Tammy, bis sie Platz genommen hatte. Dann war sie wieder uninteressant und jeder hing seinen Gedanken nach. Tamara schaute hinaus in die Dunkelheit und in Richmond-up-Thames war die Nacht noch finsterer, weil hier auf dem Land die Lichter der Großstadt fehlten. Hatte sie bisher immer die Wiesen, Felder und Parkanlagen geliebt, so fürchtete sie sich nun vor ihnen. Die Landschaft wirkte so unheimlich, als hätte sie sich verändert, aber es war Tammy, die sich verändert hatte und nun mit anderen Augen auf die vertraute Heimat blickte. Sie würde sich erst wieder in ihren eigenen vier Wänden wohl und sicher fühlen. Momentan empfand sie sich als Fuchs, den es zu jagen und zu erlegen galt. Ob die Jäger sie wohl schon einkreisten?
Da bemerkte sie einen alten Mann. Tammy sah ihn ihm Fenster, er spiegelte sich im Glas und stierte sie mit einem zahnlosen Grinsen an. Sein aschgrauer Mantel war bis oben hin zugeknöpft, viel zu warm für diese Sommernacht, und Tammy befürchtete, dass er ihn jede Sekunde aufreißen und ihr seinen erigierten Penis entgegenstrecken konnte, wie ein Exhibitionist. Tammy wagte nicht, ihn direkt anzusehen, nahm sich aber vor, ihn zu beobachten, bis der Zug in der Paddington Station einfuhr. In Gedanken malte sie sich aus, wie sie sich wehren würde, falls er sie angriff, um seine Zähne in ihr Fleisch zu bohren und ihr Blut zu kosten. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Dorian jemanden aussandte, damit er sie aus dem Weg räumte. Nein, er würde das ganz sicher selbst in die Hand nehmen und es wahrscheinlich sogar genießen. Tammy erschrak über sich selbst, als sie
Weitere Kostenlose Bücher