Kerstin Dirks & Sandra Henke - Vampirloge Condannato - 01
der Kartäuserkater fing kläglich an zu maunzen, weil er Hunger hatte.
Der Katzenjammer machte es für Tammy nicht einfacher. Er machte sie noch nervöser. Ob sie sich eine Waffe suchen sollte? Aber was? Sie verwarf den Plan und ging langsam zum ersten Fenster. Sie spähte in den Square. Nichts. Niemand war zu sehen. Mit zitternden Händen öffnet sie es einen Spalt breit.
„Warum habe ich die ganze Zeit das Gefühl, dass Dorian mich beobachtet?“, fragte sie sich selbst. „Vielleicht ist der Wunsch Vater des Gedanken.“ Sie verstand sich selbst nicht mehr.
Tamara fasste sich ein Herz und lehnte sich aus dem Fenster. Sie schloss die Läden so schnell, dass sie geräuschvoll gegen den Rahmen stießen. Die Nachbarn! Nun hatten sie wieder einen Grund zum Meckern. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Tamara machte das Fenster zu und ging zum nächsten. Als sie alle Fensterläden zugesperrt hatte, gab sie Grey Futter und setzte sich mit Sophies Memoiren in der Küche auf die Fliesen. Sie öffnete den Kühlschrank und genoss die Kälte, die hinausströmte. Es war schwül in Tammys Wohnung, weil sie durch ihre Abwesenheit zwei Tage nicht gelüftet hatte, doch sie wollte die Fenster geschlossen halten, als Schutzmaßnahme. Sie rieb sich die Schläfen. Kopfschmerzen konnte sie jetzt am wenigsten gebrauchen.
„Was meinst du, Grey?“, fragte sie den Kater, der schmatzend sein Futter verschlang. „Wird Jeremy Sophie beißen und zu einer Vampirin machen? Immerhin hätte er sie dann ganz für sich. Oder wird er nach dem Streit mit ihrem Vater Westminster vielleicht sogar verlassen und somit auch Sophie?“
Tamara blätterte in Sophies Memoiren zu der Stelle, bis zu der sie am Vorabend gelesen hatte.
cd
Schlechte Nachrichten verbreiten sich schnell. Am späten Nachmittag erzählte man sich überall in Westminster die Geschichte des schauerlichen Mädchenmordes von London. Ein Untier hatte die unschuldige Frau erwürgt und blutleer gesaugt. Die Leiche war heute Morgen gefunden und aus der Themse gefischt worden.
Als uns die Neuigkeiten erreichten, drehte sich mir der Magen um. Vaters Blick sagte mehr als tausend Worte. Er hatte, genau wie ich, einen Verdacht, wer hinter dieser Tat steckte. Mit einem bitteren Geschmack im Mund
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Sandra Henke & Kerstin Dirks Begierde des Blutes
dachte ich an den gestrigen Abend zurück. Jeremy war sehr wütend gewesen und hatte Vater sogar gedroht. Nun konnte ich nur hoffen, dass er seinen Zorn nicht an einem unschuldigen Mädchen ausgelassen hatte.
‚Sei keine Närrin’, tadelte ich mich selbst. Jeremy war kein Mörder! Ich erinnerte mich an seine Berührungen. Konnten diese sanften Hände tatsächlich ein Leben auslöschen? Niemals! Doch ein Restzweifel blieb. Vielleicht hatte er eine dunkle Seite, die ich in meiner Verliebtheit nicht gesehen hatte? Genauso wie Calvin, der Elisa ins Unglück gestürzt hatte. Ich musste ihn zur Rede stellen. Wenn er tatsächlich der Mörder war, gab es keine Zukunft mehr für uns! Wie sollte ich jemanden lieben, der unschuldige Menschen auf bestialische Weise umbrachte? Allein der Gedanke an das junge Mädchen beschwor Übelkeit in mir herauf.
Nach Einbruch der Dunkelheit machte ich mich auf den Weg, nur um festzustellen, dass die Lichter der Piazza an der Limpin Charlie Lane erloschen waren. War der Herr des Hauses etwa ausgegangen?
„Mister Wellingham ist nach London gereist. Er rechnete damit, dass Ihr ihn aufsuchen würdet und bat mich, Euch auszurichten, dass er nicht vor Mitternacht nach Westminster zurückkehrt. Ihr möchtet bitte nicht auf ihn warten“, erklärte Lucretia, die mir nach mehrmaligem Klopfen schließlich geöffnet hatte.
„Hat er Euch gesagt, was er in London vorhat? Etwas Geschäftliches?“ „Er wollte zum Hafen. Wenn Euch das weiterhilft?“
„Das tut es. Vielen Dank.“
Ich verabschiedete mich und rannte los. Der Hafen! Dort hatte man die Leiche der jungen Frau gefunden! Es musste einen Zusammenhang geben. Versuchte Jeremy die Spuren seines nächtlichen Überfalls zu verwischen? Großer Gott oder suchte er gar nach einem neuen Opfer? Ich musste ihn aufhalten, bevor noch ein Unglück geschah!
Schon bald plagten mich die ersten Seitenstiche. Außer Atem hielt ich auf dem Landweg von Westminster nach London inne, stützte die Hände auf die Knie und keuchte, als ich hinter mir das Klappern von Wagenrädern vernahm. „Brrr“. Der Kutscher brachte seine Pferde neben mir zum Stehen. Aus dem Fenster der Karosse
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