Kesrith – die sterbende Sonne
mit diesem Wissen kalt und fremd. Einstmals, als man Melein ins Sen geholt hatte, hatte er gefragt, ob man nicht auch ihn nehmen könnte – denn niemals zuvor in ihrem Leben waren sie getrennt gewesen. Aber die She'pan hatte nur seine Hände in die ihren genommen und die schwieligen Handflächen nach oben gedreht. Das sind nicht die Hände eines Gelehrten, hatte sie gesagt und sein Ersuchen abgelehnt.
Draußen in der Halle bewegte sich etwas, ein langsames Scharren, ein Klicken von Tatzen auf Stein – eines der Dusei, das vom Kel-Turm weggelaufen war. Im allgemeinen gingen sie, wohin sie wollten; niemand verbot es ihnen, selbst wenn sie lästig oder aggressiv waren. Es war nicht einmal sicher, ob man ihnen überhaupt etwas verbieten konnte, denn sie waren so stark, daß es keinen Zwang für sie geben konnte. In der ureigensten Art der Dusei spürten sie, ob sie erwünscht waren oder nicht, und selten blieben sie, wenn man sie nicht brauchte.
Sie verstanden die Kel'ein, wie man glaubte, deren Gedanken furchtlos und unkompliziert waren, und daher suchte sich jedes Dus Kel'en oder Kel'e'en und blieb sein Leben lang dort. Nie hatte eines Niun s'Intel gegenüber Zuneigung gezeigt, obwohl er einmal – in schändlicher Verzweiflung – versucht hatte, ein junges einzufangen und abzurichten. Es war aber seinen kindischen Plänen entkommen, hatte die Falle zerschmettert und ihn bewußtlos geschlagen.
Und seither hatte er es niemals mehr vermocht, eines hinter sich herzulocken, als hätte jenes, das er verraten hatte, alle anderen vor Niun s'Intels Charakter gewarnt.
Die älteren Kel'ein sagten, es läge daran, daß er einem Dus nie wirklich sein Herz geöffnet habe, daß er in seinem Inneren zu verschlossen war.
Er glaubte das nicht, denn er hatte es versucht; aber er nahm auch an, daß die empfindsamen Dusei ihn verbittert und unzufrieden wahrnahmen und dies nicht ertragen konnten.
Das glaubte er, und er hoffte, daß es sich ändern würde. Aber in der Tiefe seines Herzens fragte er sich, ob es vielleicht daran läge, daß er kein normaler Kel'en war. Einer Frau aus dem Volk standen alle Kasten offen; für einen Mann gab es nur die Kel-Kaste und Sen; beide waren ihm in einer Hinsicht fern und andererseits wieder viel zu nah, einfach weil er der letzte Sohn des Hauses war. Dies bedeutete, daß er die gesamten Bemühungen all seiner Lehrer empfangen hatte, daß sie mit ihm gearbeitet hatten, bis er verstand, bis seine Geschicklichkeit ausreichte. Aber in einem Edun voller Söhne und Töchter hätte er vielleicht gar nicht überlebt; sein Starrsinn hätte ihm manch frühe Herausforderung eingebracht, und die Leute im Haus hätten sich dann seine Reizbarkeit schnell vom Halse geschafft. Er dachte, daß er vielleicht ein besserer Kel'en hätte sein können, wenn sich die Mutter nicht eingemischt hätte; aber vieles wäre anders gewesen, wenn er nicht der letzte wäre; und auch sie wäre es.
Medai hatte der Mutter gefallen; und Medai war tot; aber Niun saß hier und lebte, ein Sohn, der sich gegen die Mutter aufgelehnt hatte. Sie würde irgend etwas zu ihm sagen müssen, nach Medais Begräbnis in den Bergen, wenn er zurückkommen und ihr ins Angesicht schauen mußte. Danach würden sehr bittere Worte fallen, er würde keine Einwände finden, und Melein würde auf der Seite der She'pan sein. Er scheute sich vor dem, was die She'pan zu ihm sagen könnte.
Aber sie würde es sagen müssen. Und er würde nichts zurücknehmen, was er gesagt hatte.
Wieder das Kratzen von Klauen. Es war ein Dus. Das explosionsartige Schnauben des Atems und der schwere Tritt zeigten an, daß der Eindringling näher kam, und Niun wünschte ihn weg vom Schrein, denn Dusei waren hier nicht willkommen. Es kam dennoch. Er hörte, wie es den äußeren Raum betrat, drehte sich um und sah es in der Dunkelheit, ein großer Schatten mit schrägen Schultern. Wieder gab es diesen seltsamen verlorenen Laut von sich und kroch langsam näher.
»Yai!« rief er, drehte sich auf einem Bein herum und wünschte es energisch fort.
Und dann sah er, daß das Dus staubbedeckt war und sein Fell mit verkrusteten Wunden übersät, und sein Herz fror ihm in der Brust, und der Atem stockte, denn er erkannte, daß es keines ihrer eigenen zahmen Tiere war, sondern ein fremdes.
Gelegentlich kamen wilde Dusei von den Hochebenen herab, blieben in den Ländern des Edun und richteten die zahmen Dusei übel zu. Soweit er sich erinnern konnte, waren alle Kel'ein gestorben, die
Weitere Kostenlose Bücher