Kesrith – die sterbende Sonne
gab es nur den Dienst auf der Heimatwelt, und das war niemals gerecht gewesen.
Wenn du dir darüber klar geworden bist, was das Volk dir schuldet , hatte Eddan gesagt, komm und sage es mir . Er wäre mit der Hälfte von dem zufrieden, was Medai gehabt hatte.
Aber jetzt sprach das Kel von Medai; beginnend mit Eddan pries ihn jeder. Es war das Ritual der Li j'aiia , mit dem die Totenwache begann. Die Stimmen der alten Kel'ein bebten beim Sprechen.
»Das Schlimmste ist«, sagte Liran, »daß die Alten den Jungen begraben.«
Und als letzte von allen, außer Niun, sagte Pasev, als sie die Medaillen berührte, die im goldenen Lampenschein glänzenden J'tai , die Ehrungen, die Medai im Dienst gewonnen hatte: »Gewiß ist er weit gereist und hat viel vom Krieg erlebt, obwohl er noch jung war. Hier finde ich den Dienst an Shoa, an Elag, an Soghrune, an Gezen und Segur und Hadriu, es ist sicher, daß er dem Volk gedient hat. Und ganz sicher hat er genug getan, unser Bruder, dies Kind unseres Hauses. Ich glaube, daß er sicherlich sehr müde war. Ich glaube, daß er des Dienstes an den Regul sehr müde gewesen sein muß, und er wäre heimgekommen, so schnell er konnte, mit all der Kraft, die ihm geblieben war. Das begreife ich. Auch ich bin des Dienstes an Regul sehr müde; und wenn ich erfahren hätte, daß er zu Ende ging, hätte ich denselben Weg wie er gewählt.«
Und jetzt wäre es an Niun gewesen, zu sprechen und seinen Vetter Medai zu preisen. Er hatte sich zornige Worte zurechtgelegt, aber nach dem, was Pasev gesagt hatte, konnte er sie nicht aussprechen oder Pasevs Gefühlen zuwider zu reden, denn er liebte sie tief. Zitternd sank er nieder und beugte den Kopf auf die gekreuzten Arme.
Das Kel schien dies für den Kummer eines Verwandten zu halten und gestattete es ihm. Aber es verspürte einen echten, selbstlosen Kummer um ein verlorenes Kind, während Niun sich nur um sich selbst sorgte.
Darin fand er einen Maßstab für sich selbst, daß er zu Niedrigkeit und ausgesprochenem Egoismus fähig war, und daß er selbst jetzt nicht Medai gleich war.
Nachdem klargeworden war, daß er nicht auch in dem Ritual sprechen würde, unterhielten sich die anderen flüsternd. Schließlich sprachen sie von den hohen Bergen, dem Begräbnis, das sie durchführen mußten, und in ihre Worte und ihre Pläne war eine stille Verzweiflung hineingewoben, eine Scham, denn sie waren alt, während die Berge weit entfernt waren und der Weg steil.
Unglücklich erörterten sie untereinander, ob die Regul ihnen auf Anforderung Motorfahrzeuge zur Verfügung stellen würden; im Herzen jedoch empfanden sie, daß sie Medai mit einer solchen Bitte um Regul-Hilfe entehren würden. Deshalb würden sie sie nicht vorbringen. Sie fingen an zu überlegen, wie sie es bewerkstelligen konnten, ihn zu tragen.
»Sorgt euch nicht«, sagte Niun und brach sein langes Schweigen. »Ich kann das allein schaffen.«
Er erblickte Zweifel in ihren Gesichtern, und als er an den steilen Pfad und die hochgelegene Einöde dachte, zweifelte er selbst.
»Die She'pan wird es nicht erlauben«, sagte Eddan. »Niun, wir könnten ihn hier in der Nähe begraben.«
»Nein«, sagte Niun. Er dachte an die She'pan und sagte erneut: »Nein.« Danach wurden ihm keine weiteren Vorschläge mehr gemacht. Schweigend signalisierte Eddan den anderen, ihn gewähren zu lassen.
Und als er sie ruhig und gemessen darum bat, ließen sie ihn allein. Geordnet, mit raschelnden Gewändern und den Ringen von Ehrenabzeichen daran, gingen sie hinaus. Der feine hohe Klang der Medaillen traf Niuns Herz. Er dachte über seinen Egoismus nach, den er gerade erkannt hatte, und über den Mut seiner Ältesten, die in ihrem Leben schon so viel getan hatten, und er war zu Tode beschämt.
In dem sich ausdehnenden Anfang dieser nachtlangen Wache, in der Stille des Edun, in dem anderswo andere für sie trauerten, begann er nachzudenken – und er wußte, daß er nicht wegen der Tradition seiner Kaste sterben wollte und daß er vor allem nicht so sterben wollte, wie Medai gestorben war. Diese Gedanken fraßen an ihm, denn sie waren das Gegenteil von dem, was man von ihm erwartete.
Medai war fähig gewesen, diese Tradition zu akzeptieren, und die She'pan hatte Medai akzeptiert. Und das hatte er nun davon.
Es war Gotteslästerung, vor dem Schrein und in der Gegenwart der Götter und der Toten solche Gedanken zu hegen. Er schämte sich vor sich selbst und wollte fortlaufen, wie er es als Kind getan hatte, hinaus
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