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Kesrith – die sterbende Sonne

Kesrith – die sterbende Sonne

Titel: Kesrith – die sterbende Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Cherryh
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in die Berge, um alleine nachzudenken und sich den Elementen auszusetzen, bis er die Kleinheit der Sterblichen und seiner selbst vergessen konnte.
    Aber diese Freiheit hatte er schon lange nicht mehr, denn er wurde jetzt zu den Männern gezählt. Die Zeiten waren gefährlich und schwer für das Edun, und sie erlaubten es Niun s'Intel nicht, das Kind zu spielen.
    Es war eine Frage der Pflicht und des Anstandes. Unter diesem Gesetz hatte Medai gelebt und war er gestorben. Niun konnte im Innersten nicht mit sich ins reine kommen, aber er konnte zumindest äußerlich versuchen, das zu tun, was er denen, die sich auf ihn verließen, schuldig war.
    Selbst wenn es eine Lüge war.
    »Niun.«
    Er hatte die Bewegung und das Flüstern jenseits des Schirmes dem ständig durch den Schrein blasenden Wind zugeschrieben. Er sah auf, erblickte jenseits der komplizierten Konstruktion eine verschwommene goldene Gestalt und erkannte die Stimme seiner Schwester. Andächtig überquerte sie den Boden bis zu dem Schirm, der sie religiös voneinander trennte, obwohl sie sich anderswo im Edun und außerhalb seiner Grenzen von Angesicht zu Angesicht treffen konnten.
    »Geh zurück!« bat er Melein, denn sie verletzte das Gesetz ihrer Kaste, indem sie in die Gegenwart eines Toten trat, sei es auch ein toter Verwandter. Ihre Kaste hatte keine Verwandtschaftspflichten, die sie zurückwies wie andere Verpflichtungen ähnlicher Art. Aber Melein ging nicht. Steif vom Knien auf dem Boden stand Niun auf und trat an das Gitterwerk. Er konnte sie nicht genau erkennen, sondern sah nur den Schatten ihrer Hand auf den Tressen des Schirmes liegen. Er brachte seine Sympathie zum Ausdruck, indem er seine Hand auf diesen Schatten legte – unfähig, Melein direkt zu berühren. Er war unrein und befand sich in der Gegenwart eines Toten, und er würde unberührbar bleiben, bis er diesen Verwandten begraben hatte.
    »Ich durfte kommen«, sagte Melein. »Die She'pan hat es mir erlaubt.«
    »Wir haben alles getan«, versicherte er ihr, und die Erinnerung an die Zuneigung, die zwischen Melein und Medai geherrscht hatte, traf sein Herz. »Wir werden ihn nach Sil'athen bringen – wir werden alles tun, was wir können.«
    »Ich habe nicht gewußt, daß du hier Wache halten würdest«, sagte sie und fügte voll tiefster Bitterkeit hinzu: »Oder machst du das nur, weil man dir ausdrücklich befohlen hat, es nicht zu tun?«
    Ihr Angriff verwirrte ihn. Er benötigte einen Moment, um seine Antwort zu finden, denn er wußte nicht, gegen welche Art von Vermutung sie sich zu richten hatte. »Er ist mein Verwandter«, sagte er. »Alles andere spielt jetzt keine Rolle mehr.«
    »Du wolltest ihn einst töten.«
    Das stimmte. Er versuchte, durch den Schirm hindurch Meleins Gesicht zu erkennen, konnte aber nur ihren Umriß ausmachen, ein goldener Schatten hinter Gold. Er wußte nicht, was er ihr antworten sollte. »Das ist lange her«, sagte er, »und ich hätte meinen Frieden mit ihm gemacht, wenn er noch am Leben wäre. Ich habe das vorgehabt. Ich habe es mir so sehr gewünscht.«
    »Ich glaube dir«, sagte sie schließlich.
    Darauf herrschte Schweigen. Niun fühlte es wie ein unbequemes Gewicht auf sich ruhen. »Ich war eifersüchtig«, gestand er Melein. Der Gedanke, über dem er gebrütet hatte, nahm Gestalt an und wurde schmerzvoll geboren, jedoch nicht so schmerzvoll, wie er erwartet hatte. Melein war sein anderes Selbst. Einmal war er ihr so nah wie ihre Gedanken gewesen, und er konnte sich diese Nähe zwischen ihnen immer noch vorstellen. »Melein, wenn es in einem Kel nur zwei junge Männer gibt, dann ist es unmöglich, daß sie sich nicht miteinander vergleichen und von anderen nicht miteinander verglichen werden. Er erreichte zuerst all die Dinge, mit denen ich mich auszeichnen wollte, und ich war eifersüchtig und verärgert. Ich bin zwischen euch getreten. Es war das armseligste, was ich jemals getan habe. Ich habe sechs Jahre lang dafür bezahlt.«
    Sie schwieg einen Moment lang, und Niun war sich jetzt sicher, daß sie Medai geliebt hatte. Für die einzige Tochter eines Edun, die anderenfalls im Alter erlö- schen würde, war es unvermeidlich, daß sie und Medai einmal das natürliche Paar gewesen zu sein schienen – Kel'e'en und Kel'en, in jenen Tagen, an denen auch sie noch zum Kel gehört hatte.
    Vielleicht – dieser Gedanke quälte ihn schon lange – wäre sie glücklicher gewesen, würde sie noch zum Kel gehören.
    »Die She'pan hat mich geschickt«, sagte

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