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Kesrith – die sterbende Sonne

Kesrith – die sterbende Sonne

Titel: Kesrith – die sterbende Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Cherryh
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sie schließ- lich, ohne auf seine Offenbarung ihr gegenüber einzugehen. »Sie hat von der Absicht des Kel erfahren. Sie will nicht, daß du gehst. In der Stadt gibt es Unruhen, und es herrscht Ungewißheit. Es ist ihr fester Wille, Niun, daß du bleibst. Andere werden sich um Medai kümmern.«
    »Nein.«
    »Diese Antwort kann ich ihr nicht überbringen.«
    »Sag ihr, daß ich nicht zugehört habe. Sag ihr, daß sie Medai mehr als nur ein Loch im Sand schuldet, und daß diese alten Männer ihn nicht nach Sil'athen bringen können, ohne dabei umzukommen.«
    »So etwas kann ich ihr nicht sagen!« zischte Melein zurück. Furcht klang in ihrer Stimme, und diese Furcht bestätigte Niun in seinen Absichten.
    Intels Wunsch ergab nicht mehr vernünftigen Sinn als ihre anderen Wünsche. Diese She'pan konnte mit den Leben ihres Volkes spielen, konnte die Leben ihrer Kinder in völliger Mißachtung ihrer Wünsche und Hoffnungen beugen und brechen. Sie hat mir ihre Tu genden vererbt , dachte er in plötzlicher und bitterer Einsicht. Eifersucht, Egoismus Besitzstreben... ah, Besitz von mir, von Melein, den Kindern Zains. Sie schickte Me lein zum Sen und Medai zu den Regul, als sie erkannte, wie sich die Dinge zwischen ihnen entwickelten. Sie hat uns ruiniert. Eine große She'pan, wirklich eine große – aber fehlerbehaftet, und sie stranguliert uns, preßt uns an sich, bis unsere Knochen brechen und unser Fleisch schmilzt, um uns dann ihren Atem einzuhauchen.
    Bis nichts mehr von uns übrig ist.
    »Tu, was du tun mußt«, sagte er. »Was mich angeht, ich werde Medai die Pflicht des Verwandten erweisen. Wahrschwester. Aber du bist Sen'e'en und hast keine Verwandten mehr. Geh zurück und sage der She'pan, was du willst!«
    Er hatte verzweifelt gehofft, sie zu erzürnen, ihre Furcht vor Intel zu durchbrechen. Dazu hatte er sie treffen wollen. Aber sie zog ihre Hand vom Schirm zurück, und ihr Schatten bewegte sich von ihm fort, vereinigte sich mit dem Licht auf der anderen Seite.
    »Melein«, flüsterte er, und laut rief er: »Melein!«
    »Wirf mir keinen Mangel an Pflichtgefühl vor«, erreichte ihn ihre entfernt und körperlos klingende Stimme. »Solange er lebte, war ich seine Verwandte, während du ihm alles, was er besaß, geneidet hast. Jetzt habe ich andere Verpflichtungen. Sag über ihm, daß die She'pan mit seinem Tod zufrieden ist. Das ist ihr Wort in dieser Angelegenheit. Was mich angeht, so habe ich keine Kontrolle über das, was du machst. Vergrab ihn! Tu, was du für richtig hältst!«
    »Melein«, sagte er. »Melein, komm zurück!«
    Aber er hörte nur, wie ihre Schritte auf verborgenen Stufen verschwanden, hörte, wie sich eine Tür nach der anderen schloß. Er blieb, wo er war, eine Hand am Schirm, und glaubte bis zuletzt, daß sie ihre Absicht ändern und zurückkommen würde, um die Antwort zu widerrufen, die sie ihm gegeben hatte. Aber sie war fort. Er konnte nicht einmal wütend sein, denn genau dazu hatte er sie aufgefordert.
    Intels Schöpfung. Und seine.
    Er hoffte, daß Melein irgendwo im Sen-Turm ihren Stolz ablegen und über Medai weinen würde; aber er bezweifelte es. Die Kälte, die sorgfältige Kälte in ihrer Stimme war allem Bedauern abhold, die geschulte Gleichgültigkeit des Sen.
    Schließlich trat er vom Schirm zurück und setzte sich neben Medais Leiche nieder. Er verschränkte die Hände hinter dem Nacken, beugte den Kopf auf die Knie und fühlte sich doppelt einsam. Die Lampen knisterten und die Feuer züngelten, denn das Tor des Edun war diese Nacht offengelassen worden – eine altertümliche Überlieferung der Ehrfurcht vor den Toten. Schatten hüpften und ließen die Schrift auf den Wänden sich voll eigenständigem Leben winden. Von dieser Schrift sagte die She'pan, daß sie Geschichte und Weisheit des Volkes enthielte. Sein ganzes Leben lang war er von solchen Dingen umgeben gewesen: Schriften bedeckten jede Wand der Haupthalle und des Schreines und des Turmes der She'pan, ebenso der Anbauten des Kath und des Kel – Schriften, von denen die She'pan sagte, daß sie in jedem Edun des Volkes, das je bestanden hatte, in exakter und unveränderter Form genauso geschrieben standen. Aus solchen Schriften lernten die Sen'ein. Die Kel'ein konnten das nicht. Niun wußte nur, was in seinem Leben und in seiner Sicht geschehen war oder was er aus den Erinnerungen der Älteren gehört hatte.
    Melein jedoch konnte die Schriften lesen und wußte wie die She'pan, was der Wahrheit entsprach, und wurde

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