Kesrith – die sterbende Sonne
sich vorgemacht, in den dunklen Augen des Dus ein leichtes Aufflackern von Interesse zu entdecken. Es würde jetzt nicht kommen. Aber seit der Ankunft des Dus im Edun hatte sich Niun schon so oft selbst getäuscht. Er zuckte die Achseln und warf dem Dus wie beiläufig das Futter zu, ließ es zwischen den mächtigen klauenbewehrten Vorderpranken landen. Manchmal fraß es schließlich doch. Es nahm gerade genug an, um am Leben zu bleiben, und manchmal konnte Niun den Brocken verschrumpelt und zurückgewiesen sehen, während das Dus sich anderswo herumtrieb, bis das Stück fortgenommen wurde. Denn das Dus war sehr stolz und wollte eigentlich nicht fressen.
Jemand anders kümmerte sich darum, daß der Wassernapf an der Schwelle ständig gefüllt war. Das war auf Kesrith eine große Verschwendung. Normalerweise beschwerte sich ein krankes Dus einfach, wenn es durstig war, und erhielt dann, was es brauchte; und ein gesundes Dus entnahm alle Feuchtigkeit dem Futter, das es fraß. Niun verdächtigte Kel Pasev dieses verschwenderischen Mitgefühls. Sie besaß ihr eigenes Dus, war jedoch zu solchen Gefühlen einem guten Tier gegenüber fähig. Niun selbst war in seinen Angeboten nicht so geschickt wie Pasev. Zweifellos wußte jeder im Edun, wie verzweifelt er sich bemühte, die Kreatur zu füttern und für sich zu beanspruchen, und wie stur sie ihn zurückwies.
Zweifellos würde ein anderer Kel'en das Tier füttern, wenn er es nicht tat. Das Dus beschämte sie alle mit seiner Treue und seinem Kummer. Es fand keinen von ihnen wert, sich ihm anzuschließen – und Dusei übertrugen ihre Zuneigung sowieso nur selten. Aber Niun hoffte immer noch verzweifelt auf das Überleben dieses einen.
»Manchmal«, sagte Melein, »kann man sie einfach nicht retten.«
Sie setzte sich neben ihn auf die staubige Schwelle, ohne dabei auf die Gewänder ihrer Kaste zu achten. Der körnige Sand des Edunbodens haftete jedoch auch nicht so stark wie das weiße Tieflandpuder. Nur draußen trug sie den leichten Schleier über ihrer seidigen Mähne, denn das Sen verachtete die Bedekkung.
Der Körper eines Kel'en ist selbst ein Mysterium des Volkes, besagten die Lehren , und deshalb verschleiert sich das Kel. Der Körper eines Sen'en ist ein Schleier für sein Inneres, das ein Mysterium des Volkes ist, und des halb verschleiert sich das Sen nicht.
Es sei denn vor dem, was nicht akzeptiert werden konnte.
Das Wetter war schön nach dem Sturm der vorangegangenen Tage, der Zerstörung und Katastrophen die Gebirgspässe herabgeblasen und in der Regul Stadt Verwüstungen angerichtet hatte. Selbst durch den Regen hindurch war der Rauch der Zerstörung im Tiefland sichtbar gewesen, und nachdem der schlimmste Sturm vorüber war, hatten die Kel'en mit neuer und bitterer Befriedigung von der Spitze des Sen-Turmes Ausschau gehalten.
»Ah«, hatte Eddan gesagt, als sie den Rauch und das Feuer bemerkten, »Kesrith hat selbst jetzt noch ihre Umgangsweise mit den Meistern.«
Wahrscheinlich waren zahlreiche Regul in der Feuersbrunst umgekommen. Diese Befriedigung war etwas, das einstmals kein Mri gedacht oder gefühlt hätte. Aber das war vor dem ungeklärten Tod eines Kel'en auf einem Regul-Schiff und bevor bekannt geworden war, daß die Welt den Menschen gehören würde.
Jetzt begannen die Abendsterne am klaren Himmel zu leuchten, und es gab keinen Wind, der den Sand aufrührte und das Anlegen des Mez ratsam erscheinen ließ. Nach den größten Stürmen waren solche kristallenen Abende häufig, als ob die Welt selbst nach dem kürzlichen Unwetter erschöpft daläge.
Niun senkte seinen Schleier und befestigte ihn unter seinem Kinn. Aller Wahrscheinlichkeit nach gab es hier keine Tsi'mri, und so brauchte er ihn nicht.
»Sollen wir einen Gang machen?« schlug Melein vor.
Das hatte er nicht im Sinn gehabt; aber nur selten fragte ihn Melein überhaupt noch nach etwas. Er stand auf und bot ihr seine Hand an, um ihr aufzuhelfen. Danach gingen sie Seite an Seite in die von Melein gewählte Richtung, auf dem schmalen Pfad, der von der Ecke des Edun zu den Felsen am Gipfelpunkt des Straßendammes führte. Niun erinnerte sich an die Zeiten, in denen sie diese Strecke gerannt waren, alle drei, flink wie Eidechsen, Kinder ohne Schleier, kleine schlankgliedrige Jungen und ein kleineres Mädchen, die unerlaubterweise zu dem Aussichtspunkt rannten, von dem aus sie die herabkommenden und abfliegenden Schiffe auf dem Hafen sehen konnten.
Damals waren das Schiffe mit
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