Kesseltreiben
dreißig Quadratmeter, Fenster bis zum Boden –, eigentlich ein schöner Raum, aber noch reichlich kahl. Die Sitzgruppe aus seiner alten Wohnung wirkte verloren, und es fehlten Teppiche, ein paar schöne Lampen und Bilder. Naja, das würde sich alles finden, wenn er sich erst einmal eingelebt hatte.
Er wollte gerade wieder hinuntergehen, um den Auflauf in den Ofen zu schieben, als er Schüsse hörte.
Schnittges lief zum Fenster. Die Knallerei war von weiter her gekommen. Er sah auf die Uhr.
Auf der anderen Straßenseite dehnte sich ein großes Feld bis zum Gebäude des Schwimmbads. Vier oder fünf Jäger standen dort in weitem Abstand, die Büchsen in der Hand. Links hinter den Häusern zog sich ein Wäldchen am alten Baggerloch entlang. Auf dem Acker vor ihm stoben ein paar Vögel auf, und wieder schossen die Männer.
Bernie Schnittges fuhr sich über das müde Gesicht – irgendeinen Sinn würde das da drüben wohl haben er war ein Stadtkind und hatte nicht die geringste Ahnung von der Jagd.
Er ließ die Jäger Jäger sein und ging zum anderen großen Fenster hinüber. Das Haus nebenan und die beiden gegenüber standen noch leer, gemütlich war das Neubauviertel nicht, die wenigen Bäume und Sträucher zu mickrig, die Rasenflächen dünn. Sein eigener Garten bestand bisher nur aus platt getretener Erde, aber das wollte er bald ändern. Als Erstes würde er eine Hecke pflanzen, damit man den hässlichen Zaun nicht mehr sah, der sein Grundstück einfasste.
Kessel – von dem Dorf hatte er schon gehört, lange bevor er nach Kleve gekommen war.
Seit seiner Schulzeit spielte er leidenschaftlich Laientheater, was die neuen Kollegen Gott sei Dank noch nicht herausgefunden hatten, und er war den Schauspielern vom Kesseler »Tingeltangel-Theater« schon öfter auf Festivals begegnet. Es waren nette Leute, und er hatte keinen Zweifel, dass sie ihn mit Freuden ins Ensemble aufnehmen würden.
Ein Auto brauste mit hoher Geschwindigkeit am Haus vorbei, dann quietschten Bremsen, aber als er zum vorderen Fenster kam, war nichts mehr zu sehen.
Der Himmel im Westen hatte sich rosa gefärbt, das bedeutete wohl, dass es auch morgen wieder warm würde. Was für ein Wetter, sonnige achtundzwanzig Grad, und das im April! Morgen hatte er noch dienstfrei.
Ob das Freibad drüben schon für die Saison geöffnet hatte? Oder vielleicht konnte man am alten Baggerloch auch irgendwo wild baden, wäre schön im Sommer, nachts, bei Vollmond.
Simone, dachte er und spürte, wie sein Magen sich verkrampfte.
Hör auf!, schalt er sich laut. Es war richtig gewesen zu gehen, eine echte Chance hatte er sowieso nicht gehabt.
Jetzt erst einmal etwas essen und dann in die Badewanne.
Sirenengeheul weckte ihn, an der Badezimmerdecke zuckten blaue Lichter.
Du meine Güte, er war tatsächlich in der Wanne eingeschlafen und fror jetzt wie ein Stint.
Als er sich gerade mit dem Handtuch warm rubbelte, klingelte es.
»Ruhiges Landleben«, murmelte er, zog sich hastig seinen Bademantel über und lief die Treppe hinunter.
Vor der Tür stand Ackermann und machte ein zerknirschtes Gesicht. »Hab ich dich unter de Dusche weggeholt?«
»Macht nichts«, sagte Schnittges freundlich. »Komm doch rein.«
Aber Ackermann blieb stehen und deutete mit dem Kinn Richtung Acker. »Wat is’ denn dahinten los?«
Schnittges zuckte die Achseln. »Ich habe keine Ahnung. Aber jetzt komm rein. Mir ist kalt, ich muss mir was anziehen.«
»Okay.« Ackermann drückte ihm ein Päckchen in die Hand, das in ein kariertes Küchenhandtuch eingewickelt war. »Salz un’ Brot«, sagte er,»wie et so Sitte is’.« Dabei grinste er und schaute sich neugierig in der Diele um. »Feine Hütte, Bernie. Haste die gekauft?«
Schnittges schüttelte den Kopf. »Nur gemietet. Danke, übrigens, nett von dir. Pass auf, ich lauf schnell nach oben und ziehe mich an. Da vorn ist die Küche, Bier steht im Kühlschrank. Bedien dich einfach und komm dann hoch ins Wohnzimmer, ja?«
Als Schnittges aus seinem Schlafzimmer kam, hatte Ackermann es sich mit einer Bierflasche in der Hand auf dem Sofa gemütlich gemacht. »Ich staun’ Bauklötze, du has’ wirklich alles schon fertig.«
Schnittges lächelte und nahm die andere Bierflasche, die Ackermann mitgebracht hatte, vom Tisch. »Nun ja, so einigermaßen.«
Sie prosteten sich zu und tranken. »Aber da fehlt noch so manches«, meinte Schnittges dann. »Ich weiß zum Beispiel noch nicht, was ich mit dem Wintergarten anfangen
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