Kesseltreiben
als Zeugen gegen Sabine ausgesagt hatten, und festgestellt, dass das Verfahren eine Farce gewesen war. Und erst am Donnerstag vor seinem Tod hatte er von der Vergewaltigung erfahren.
»Am 23. April Wiederaufnahme beantragen.«
Sebastian hatte allerdings wohl noch genug Zeit gehabt, die drei (oder vier) Männer über diesen Plan in Kenntnis zu setzen.
Konnte er wirklich so unvorsichtig gewesen sein?
Und seine letzte Notiz:
»Sabine: WG Mitte der 70er (Quelle: Reiterhof, Sabines Nachbarn zur Linken)
- bestätigen lassen
- Mitbewohner finden
- Anti-AKW-Zentrale (?); Mitglieder aufsuchen
- Kinder (Pitz, Goossens, van Beek, Küppers) aufsuchen: Taucherspiel?«
Vierundzwanzig
Ich sitze im Gefängnis!
Und ich habe solche Angst um Sebastian. Ich weiß nicht, was sie mit ihm tun. Wer kümmert sich um ihn? Er versteht doch gar nicht, was los ist, warum ich nicht bei ihm bin. Ich bin doch immer bei ihm.
Ich werde verrückt. Sie sollen mich zu meinem Kind lassen! Er braucht mich doch, und er hat bestimmt furchtbare Angst.
Untersuchungshaft, sagen sie. Man hat mir alles weggenommen.
Ich begreife nicht, dass sie das wirklich mit mir tun. Es kann einfach nicht sein. Sie können meinem Kind doch die Mutter nicht wegnehmen. Und ich habe doch nichts getan!
Der Tag heute, unerträglich heiß. Bastian und ich saßen schon morgens um zehn im Planschbecken, um uns abzukühlen.
Bald kam dann auch die kleine Bagage aus dem Dorf, heute auch ein paar von den Älteren, Jörg, Dennis und Heiko. Es sind ja Sommerferien.
Das Planschbecken war zu klein für alle und das Wasser zu warm, deshalb habe ich sie mir geschnappt, die drei Großen, meinen Sohn, Simon und Alexander – die »Zwingellinge«, wie Sebastian sie nennt –, Kevin und den kleinen Andreas und bin mit ihnen zum Baggersee.
Weil die Kleinen wegen der Hitze so überdreht und unleidlich waren und ich sie beruhigen wollte, hatte ich meine Perlen und Flechtschnur und das Schminkzeug mitgenommen, alles zusammen mit zwei Flaschen Wasser und einer Dose mit Melonenstücken in eine große Plastiktüte gepackt.
Am See haben die Kinder eine Weile herumgetobt, wurden dann aber schnell ruhiger, es war schön schattig. Wir haben Melone gegessen, ich habe Perlenzöpfe geflochten, und sogar der zehnjährige Jörg, der sonst immer so cool ist, wollte unbedingt geschminkt werden. Gesungen haben wir auch: »Drei Chinesen« und »Eine Seefahrt«. Und furchtbar viel gelacht.
Aber irgendwann wurde es Zeit. Ich hatte einen Starter für mein Brot angesetzt und musste schleunigst nach Hause. In der Eile habe ich wohl meine Sachen vergessen, aber das ist mir nicht aufgefallen.
Da habe ich sie alle eingesammelt, und sie sind brav ins Dorf gelaufen.
Ich bin mit Bastian ins Haus, um mich um den Brotteig zu kümmern, aber mein Kleiner hatte keine Lust zu helfen, es war einfach zu heiß für ihn in der Küche.
Draußen flitzten die anderen Kleinen inzwischen auf ihren Rädchen hemm, und Sebastian kniete auf einem Stuhl, guckte durchs Fenster nach draußen und quengelte.
Und da hab ich mir gedacht: Was soll schon passieren? Habe Bastis Dreirad vors Haus geschoben und gesagt: »Düs los, Süßer!«, und gedacht: In zehn Minuten sammele ich dich wieder ein.
Aber dann hörte ich Flora brüllen. Sie steckte im Morast auf der hinteren Weide fest, eins von den Kindern hatte wohl das Gatter offen gelassen.
Und als ich unsere Kuh endlich wieder beim Haus hatte, kommt Basti vom Baggerloch her angestolpert, ohne sein Dreirad und vollkommen verstört.
»Wo ist dein Rädchen? «
» Weiß nicht. «
» Wo sind die anderen Kinder? «
» Weiß nicht.«
Und er zittert und friert. Bei dieser Hitze! Ich muss ihn aufwärmen.
Ich gehe mit ihm in die heiße Wanne, füttere ihn mit Schokopuddingsuppe, nehme ihn in mein Bett.
Was ist denn bloß passiert? Er sagt kein Wort. Schließlich schläft er ein.
Mir läuft der Schweiß in Strömen runter. Ich dusche kalt und ziehe eins von meinen indischen Kleidern an.
Es bollert an der Vordertür.
Ich mache auf.
Draußen stehen zwei Polizisten, der Ortsvorsteher und die drei anderen.
Einer der Bullen sagt, dass Kevin tot ist, der kleine Kevin, der vorgestern sechs geworden ist.
Sie haben ihn am Baggersee gefunden. Mit einer Plastiktüte über dem Kopf, erstickt. Mit der Plastiktüte, die ich mit zum See genommen hatte.
Sie sagen, meine Perlen und alles lägen noch da rum.
Sie sagen, es gibt am Wasser nur Fußspuren von den Kindern und
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